: Kein Zwang zum Sport an Berliner Schulen
■ Verwaltung tolerant gegenüber religiösen Geboten Geteiltes Echo auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Im Streit um die Frage, ob türkische Schulkinder am gemischtgeschlechtlichen Sportunterricht teilnehmen sollen oder ob die Schule die religiösen Gebote muslimischer Familien tolerieren muß, hat das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der Religion entschieden. In Berlin, wo 140.000 türkische StaatsbürgerInnen leben, gehen auch nach der Entscheidung die Meinungen auseinander.
„In der GEW gibt es dazu keine einhellige Stellungnahme“, sagt Sanem Kleff, Berliner Vorsitzende für multikulturelle Angelegenheiten. Es gebe Gewerkschaftsmitglieder, die die pluralistische Gesellschaft in den Vordergrund stellen, in der andere Moralvorstellungen akzeptiert werden müssen. Auch gebe es GEW-Frauen, die schon seit langem die Wiedereinführung von getrenntgeschlechtlichem Unterricht befürworteten – aus emanzipatorischen Gründen. Diejenigen, die das Urteil ablehnten, so eine andere GEW-Mitarbeiterin, glauben, daß türkische Mädchen sich durch getrenntgeschlechtlichen Unterricht nicht genügend emanzipieren würden. Fremde Wertvorstellungen zu überwinden, wie mit Jungen Sport zu treiben, sei dafür wichtig.
Auch Sanem Kleff steht dem Urteil „zwiespältig“ gegenüber. Sie befürchtet, daß es eine Klagewelle auslöst. Zukünftig könnten Eltern ihre Töchter nicht nur vom Sport befreien wollen: „Vielleicht wird dann auch aus religiösen Gründen gegen den Sexualunterricht in Biologie geklagt.“
Safter Cinar, Sprecher des Bundes der EinwanderInnen aus der Türkei, begrüßt dagegen das Urteil. Begründung: „Die deutsche Gesellschaft muß mit religiösen Vorbehalten leben.“
In Berlin, wo 25.000 junge TürkInnen zur Schule gehen, gab es bislang nur wenig Konflikte mit dem gemischt geschlechtlichen Sportunterricht. Landesschulrat Hans-Joachim Pokall sind „keine großen Probleme dieser Art bekannt.“ In den 500 Berliner Grundschulen, in denen in den Klassen 1 bis 4 Mädchen und Jungen zusammen Sport treiben würden, habe es zwar ab und an Beschwerdem von türkischen Eltern gegeben, die seien aber von den Schulen bisher immer intern gelöst worden. Pokall: „Wir haben niemanden gezwungen, am Sportunterricht teilzunehmen.“
Ähnlich sieht es auch Schulleiter Gerd Busak von der Nürtingen- Grundschule in Kreuzberg. Dort gibt es 390 ausländische Kinder, nur ein Viertel der Schüler sind Deutsche. „Wir hatten bisher kaum Konflikte“, sagt Busak. Er würde ein türkisches Mädchen vom Sportunterricht befreien, wenn die Eltern oder die Schülerin es so wollten. Wichtig sei es, mit diesem Problem sensibel umzugehen und Gespräche mit den Eltern zu führen: „Sport ist für alle Schüler wichtig, egal ob religiös oder nicht.“ Julia Naumann
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