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Im Land jenseits des Waldes

Auf den Spuren des wahren Grafen Dracula durch das rumänische Transsylvanien: Das Geburtshaus, das Schloß, die Gruft. Vampire gibt es hier keine, höchstens als „Dracula“-Plätzchen  ■ Von Stefan Brunn

Nach nächtlicher Fahrt erreiche ich gegen Mittag Transsylvanien. Erste Station ist Schäßburg, rumänisch Sighisoara, eine erweiterte Festung im Herzen des siebenbürgischen Hochlandes. Dies ist die Heimat des wahren Grafen Dracula, dessen Spuren ich verfolge.

Inmitten einer ansonsten trostlosen Stadt liegt der Burgberg. Kopfsteingepflasterte Gassen winden sich um bunte Häuser. Ihrem mittelalterlichen Kern verdankt die Stadt den Beinamen „Nürnberg von Siebenbürgen“. Die Gebäude sind ansehnlich herausgeputzt, an den Mauern klettern Weinreben empor. Überall stehen Türen offen, aus denen Musik und Kochgerüche dringen.

Gegenüber dem größten der neun Stadttürme wurde der Graf geboren. Heute ist sein Geburtshaus eine Gaststätte mit einer Sammlung mittelalterlicher Waffen, mit denen er seinen Blutdurst gestillt haben mag. Vor dem Haus verkauft eine alte Frau „Dracula“- Plätzchen mit seinem Konterfei, das einer alten Münze nachempfunden sein soll.

Transsylvanien ist der Name der Rumänen für Siebenbürgen. Transsylvanien heißt „Land jenseits des Waldes“, obwohl eigentlich der Wald der Karpaten mit zum Land gehört. Die Siebenbürger Sachsen tauften diesen urbaren Landstrich – so groß wie Tschechien – „Königsboden“, als sie sich vor 850 Jahren hier niederließen.

Die Alte weiß nichts Näheres über den Grafen. Deshalb breche ich in die Karpaten auf, wo sein Schloß vermutet wird. Vor dieser Art von Blutsaugern fürchtet sich hier niemand mehr. Eher schon vor der natürlichen Blutarmut, denn seit der Revolution vor drei Jahren ist die Versorgungslage kaum besser geworden. Zu Zeiten des Sozialismus bekam man nur die angeschlagenen Lebensmittel, die nicht exportiert werden konnten. Heute stehen die Menschen mit leeren Portemonnaies vor den Warentischen. „Wir schlachten eene Laus und essen die Leber“, heißt eine Redensart der Rumäniendeutschen, die mehrheitlich das Land verlassen.

Auch das Reisen ist sehr beschwerlich. Stundenlang quält sich der überfüllte Bus durch das transsylvanische Hochland, vorbei an Sturzbächen, die die Wassermassen der heftigen Gebirgsgewitter ins Tal tragen, und über viele Hügel. Je näher ich den Karpaten komme, von denen Transsylvanien fast ganz umschlossen ist, um so mehr weicht das Nutzland endlosen Wäldern und steilen Felsabstürzen. Auf den Bergrücken sind Wald und Wiese einen sonderbaren Kompromiß eingegangen: unten ragen vereinzelte Buchen unentschlossen aus dem Grün, oben ist das Dickicht kaum zu durchdringen. Abseits der Straße ist es so einsam und verlassen, daß es einem das tagelange ungestörte Wandern fast verleidet. Wo es am einsamsten ist, leben noch Braunbären, Wölfe – und Fledermäuse.

„Dracula lebt“, vermeldete die Chicago Tribune vor wenigen Jahren, „und zwar ganz munter in München.“ Die Zeitung hatte recht, wenn es auch nicht der historische Dracula war, welcher um die Mitte des 15. Jahrhunderts lebte, sondern einer seiner Nachfahren. Einen Vampir namens Dracula hat es natürlich nie gegeben. „Dracul“, rumänisch: „der Teufel“, war vielmehr Vlad Tepes, Sohn des Grafen Dracul aus der Walachei. Seinen Ruhm verdankt er mehreren Siegen über die Osmanen, die er mit den grausamsten Mitteln errang. Die gefangenen Türken ließ er pfählen oder bei lebendigem Leibe auseinanderschneiden, um mit ihrem Blut seine Häuser zu bemalen.

Dennoch ist Vlad Tepes in Rumänien heute ein Nationalheld. Der hingerichtete Diktator Ceaușescu selbst sah sich in der Nachfolge des „weisen Staatsmanns Dracula“. Aus seiner Gruft auferstanden ist Dracula erst durch den berühmten Vampirroman des Iren Bram Stoker von 1897. Noch heute lebt der Fürst der Finsternis nicht nur in Erzählungen und Verfilmungen fort, sondern auch in unseren Nächten: nach Umfragen in England ist Dracula die meistgeträumte Person überhaupt.

Am berüchtigten Borgo-Paß gibt es kein Schloß, davon habe ich mich überzeugt. In der Karpatenbeuge jedoch, in der Nähe des Dorfes Bran, liegt die Törzburg, auch „Draculaschloß“ genannt. Das Schloß thront imposant auf einem bewaldeten Berg, errichtet zur Wacht über den Paß, der hier das Karpatenmassiv durchschneidet. Aber weder öffnet ein buckliger Diener, noch bezeugen andere Hinweise einen Aufenthalt des Grafen hier. Einziger Beleg ist eine vom Fürsten Dracul unterzeichnete Schriftrolle. Die Gruft darf nicht betreten werden.

Die Dorfbewohner wechseln düstere Blicke, wenn man nach ihm fragt. Sie sind es leid, als Inventar von Gruselgeschichten gehandelt zu werden. Tatsächlich habe der Fürst hier bisweilen zu ruhen beliebt (entgegen anderen Stimmen, er habe nie auch nur einen Fuß in dieses Schloß gesetzt), seine Stammburg aber liege nicht in Transsylvanien, sondern tief in den Wäldern der Walachei.

Enttäuscht reise ich über die Dörfer zurück. Auf den staubigen Dorfstraßen des entlegenen Burzenlandes haben sich augenscheinlich weder Kommunismus noch Kapitalismus ausgewirkt. Wie vor Jahr und Tag ziehen die Männer im Morgengrauen in den Pferdewagen auf die Felder und mähen mit ihren Sensen das Heu. Viele sehen wegen ihrer dunklen Gesichter, schwarzen Schnurrbärte und den verschlissenen Kleidern auf den ersten Blick bedrohlich aus. Aber es sind freundliche und bescheidene Menschen. Abends stellen sie einen Tisch vor ihr Haus, trinken selbstgebrannten Zwetschgenschnaps und halten ein Schwätzchen. Nicht nur ihre Sprache ähnelt dem Italienischen, sondern auch ihr Gemüt: offen, gesellig, temperamentvoll.

Auf meiner Rückreise durch dieses Land – Kruzifix und Weihwasser habe ich schon verstaut – stoße ich auf ein junges Mädchen mit einem Knoblauchkranz. Ohne diesen würde sie sich fürchten, sagt sie. Natürlich ist sie nicht von hier. Hier gibt es keine Vampire, höchstens als Plätzchen.

Auskunft: Rumänisches Touristenamt, Zeil 13, 60313 Frankfurt/M., Tel.: 069-295 278; oder in Bukarest: Ont Carpati, Bukarest, Bd. Magheru 7, Tel.: 90-405 160

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