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Olympia im Zeichen des Drachen

Die Olympiabewerbung Pekings für das Jahr 2000 läßt den Großteil der Bevölkerung kalt / Gegner des Spektakels fürchten Stabilisierung des Systems  ■ Ein Bericht aus der chinesischen Demokratiebewegung

Zur Zeit kursieren in der chinesischen Hauptstadt drei verschiedene Ansichten über die Bewerbung Pekings für die Olympischen Spiele des Jahres 2000. Die überwiegende Mehrheit der Einwohner steht den Bemühungen ihrer Heimatstadt eher teilnahmslos, neutral und abwartend gegenüber. Sollten die Spiele in Peking stattfinden, so der Tenor, gäbe es sicherlich viel zu erleben und – für einige – auch zu verdienen. Andererseits ließe sich das Geld, das für die Olympiade ausgegeben wird, für sinnvollere Ziele verwenden. Insgesamt aber läßt man „die da oben“ schalten und walten – wie immer schon. Diese Gruppe setzt sich hauptsächlich aus Arbeitern, Bauern, Angestellten und Rentnern zusammen.

Die Befürworter dieses geplanten Großereignisses finden sich naturgemäß bei den Sportfunktionären und den anderen Kadern, aber auch unter den Intellektuellen und Studenten und vielen anderen jungen Leuten sowie bei den Sportlern selbst. Die Beweggründe der staatlichen und sportlichen Akteure liegen auf der Hand: Man erhofft sich einiges für das Prestige der Volksrepublik und damit auch für das eigene Ansehen. Zudem wird die wirtschaftliche Öffnung zum Westen gutgeheißen, werden Fortschritt und Konkurrenzfähigkeit mit den Olympischen Spielen assoziiert, während die positive Einschätzung der städtischen Jugend mehr von Neugier und Erlebnishunger bestimmt ist. Die Intellektuellen hingegen erwarten, daß mit Olympia und der Zunahme westlicher Einflüsse auch eine Lockerung in der politischen Führung, eine Annäherung an demokratische gesellschaftliche Verhältnisse einhergehen wird.

Gegen die geplanten Spiele in Peking votiert nur eine kleine Minderheit der Einwohner. Diese sind als Regierungsgegner politisch motiviert. Ihre Forderungen sind: Einführung einer westlichen Demokratie, Meinungsfreiheit und Einhaltung der Menschenrechte. Eine erfolgreiche Austragung – so ihr Argument – würde lediglich zur Stabilisierung der gegenwärtigen Regierungsform beitragen. Ein weiteres Anliegen der Opposition ist der Umweltschutz, der voraussichtlich bei den Planungen zu kurz käme. Jedoch gibt es bislang keine organisierten Proteste gegen die Bewerbung Pekings, wie sich auch von offizieller Seite noch keine Gegner zu Wort gemeldet haben. Von daher ist auch die Polizei bisher nicht in Aktion getreten.

Finanziell sind die Spiele in Peking gesichert. Der Staat verfügt über genügend Kapital zur Durchführung, und aufgrund der sozialistischen Wirtschaftsform ist man nicht unbedingt auf Profit angewiesen. Mit Steuererhöhungen oder anderen Abgaben ist mit Sicherheit nicht zu rechnen. Dagegen sind aber andere Methoden wie Spendenaktionen, Lotto und Sparmaßnahmen für Funktionäre und Beamte zu erwarten.

Ob von den geplanten Baumaßnahmen die breite Bevölkerung profitieren kann, erscheint fraglich. Zwar würden die neugebauten Sportanlagen und Hallen nach den Spielen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, auch läßt die Regierung im Rahmen der Olympia-Bewerbung schon jetzt alte Wohnviertel sanieren, Infrastruktur und Verkehrswege werden verbessert. Im Entwicklungsland China mit einer Bevölkerungszahl von 1,2 Milliarden Menschen bleibt jedoch die Wohnungsnot ein ungelöstes Problem, besonders in den großen Städten wie Peking. Wie die Erfahrungen aber zeigen, dürften die Olympiadörfer allein an Unternehmer, größere Firmen oder potente Privatleute verkauft werden. Schon die Unterkünfte, die für die Asienspiele 1990 errichtet worden sind, stellen für die große Mehrheit einen unerreichbaren Luxus dar und tragen deshalb kaum zu einer spürbaren Linderung der Wohnungsnot bei.

Wirtschaftliche Gewinner der Olympischen Spiele würde das Dienstleistungs- und Gastronomiegewerbe sein. Die größten Luxushotels Pekings (Sheraton, Holiday Inn, Great Wall) sind steuerbegünstigte Joint-ventures der ausländischen Unternehmen mit dem chinesischen Staat. Andere große Hotels wie das Peking Hotel und das Freundschaftshotel sind ganz in staatlicher Hand, private chinesische Unternehmen in diesem Bereich gibt es nicht. Dagegen sind alle Taxifahrer außerordentlich gut verdienende, selbständige Unternehmer. Größere Geschäfte und Einkaufszentren gehören dem Staat, daneben existieren inzwischen eine Anzahl privater Läden. Ähnlich verhält es sich bei Restaurants und Gaststätten. Als Mischform wird häufig die Verpachtung vom Staat an Privatunternehmer praktiziert. Rein staatlich sind nur etwa dreißig Prozent der Restaurants und Garküchen. Mit anderen Worten: Der Großteil der Einnahmen aus dem Tourismus sollte wieder an den Staat zurückfließen und so zumindest teilweise eine Refinanzierung der Spiele ermöglichen. Der Inlandstourismus würde vermutlich wie bei den Asienspielen 1990 durch Quoten beschränkt werden, zum einen, um die Infrastruktur Pekings vor dem Zusammenbruch zu bewahren, zum anderen, um die wertvollen Devisenbringer aus dem Ausland nicht unnötig einer Konkurrenz um die knappen Plätze auszusetzen.

Die Argumente von Regierungsseite sind aber andere: Die Bewerbung um die Olympischen Spiele soll der Förderung von Freundschaft und Austausch mit anderen Ländern dienen, die Reformen und die Öffnung zum Westen vorantreiben sowie die Entwicklung des Leistungssports fördern. Die Organisation und Vorbereitung der ganzen Kampagne läuft strikt von oben nach unten, alle Medien sind voll in die Propaganda Olympia 2000 eingespannt. Sogar die Taxifahrer sollen Plaketten an ihren Fenstern anbringen.

Über die Konkurrenten und eigenen Chancen ist man informiert. So zweifeln die Leute in Peking nicht an der Fähigkeit Deutschlands, die finanziellen Mittel für eine Olympiade in Berlin aufzubringen. Es ist jedoch auch bekannt, daß schon Gegendemonstrationen stattgefunden haben und daß der Nationalsozialismus und -terrorismus in Deutschland wieder aufflackert. Selbst die gegenwärtig ungünstige Wirtschaftslage in der Bundesrepublik ist ihnen nicht verborgen geblieben. Aus diesen Gründen schätzen die Chinesen, daß Sydney bei der Wahl Ende September auf Platz eins, Peking auf Platz zwei und Berlin auf dem dritten Platz landen wird. Der Name des Autors

ist der Redaktion bekannt.

Vorabdruck aus: Sportkritik. Die Zeitschrift gegen das Unentschieden. Nr. 5/93, September 1993, SP- Verlag, Deutschhausstr. 31, 35037 Marburg

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