: Thema heute: Fischkrieg. Nachdem viele Fischer zehn Jahre lang fette Gewinne geangelt haben, sind sie böse aufgewacht: Das Meer gibt immer weniger her, dennoch werden die Märkte von Billigfisch überschwemmt. Viele kleine Fischer treibt ...
Nachdem viele Fischer zehn Jahre lang fette Gewinne
geangelt haben, sind sie böse aufgewacht: Das Meer gibt immer weniger her,
dennoch werden die Märkte von Billigfisch überschwemmt. Viele kleine Fischer treibt die Angst vor dem beruflichen Aussterben jetzt auf die Straße.
Diese Woche zusammengestellt von taz-Frankreich
Nur noch zwei Tage im Monat auf See Norwegische Fischer drehen Däumchen, während die Konkurrenz das Meer leerfängt / Die Fischfabriken in Nordnorwegen profitieren von den Verkäufen der russischen Trawler
Aus Vadsö Reinhard Wolff
Am Kai herrscht hektische Betriebsamkeit. Der russische Trawler „Jaroslavet“ wird entladen. Der Kran hievt eine große Plastikwanne nach der anderen an Land, jede ist bis obenhin mit Dorsch gefüllt. Gabelstapler pendeln zwischen Kai und Fischfabrik, und in wenigen Minuten werden die Frauen an der Filetstraße den Fang zum Tieffrieren zurechtschneiden. Täglich legen hier zwei oder drei russische Trawler an. Ohne sie, sagt Nils Nilsen, Vorarbeiter in der Fischfabrik, stünden die Räder schon lange still. Ein paar Meter weiter sitzen Olav Pedersen und Charles Solvang. Sie drehen Zigaretten und schauen aufs Meer. Beide sind Fischer, doch diesen Sommer haben sie überwiegend am Kai und im Konsum-Café verbracht. „Wenn wir mal an Bord sind“, sagt Olav, „dann nur, um Netze zu flicken oder im Maschinenraum zu arbeiten.“ Zum Fangen sind sie höchstens dreimal im Monat hinausgefahren, obwohl sie dringend Geld bräuchten. Doch sie dürfen nicht mehr.
Zu Beginn der Fangsaison bekommt jeder norwegische Fischer eine Quote zugeteilt. Auf diese Weise will das Ministerium in Oslo eine Überfischung der letzten attraktiven Bestände verhindern. In den letzten Jahren ist die Quote immer kleiner geworden, mehr und mehr Fischer haben ihre Boote verschrottet, weil sie von ihrem Beruf nicht mehr leben können. Diese Planwirtschaft hat durchaus Erfolg gehabt: Der Dorschbestand soll sich erholt haben. Auf seiner Wahlkampfreise – im September sind Parlamentswahlen – verkündete Fischereiminister Jan Henry Olsen bereits, die Quoten könnten gewiß bald erhöht werden. Doch das haben Olav und Charles schon zu oft gehört, um es zu glauben.
„Der Dorsch, den wir schützen, der kommt gerade da drüben an Land“, sagen sie bitter und deuten auf die „Jaroslavet“. Jedes Jahr verabreden Norwegen, Rußland und andere Länder, welche Mengen ihre Flotten im Barentsmeer fischen dürfen. In den nordnorwegischen Fischerorten glaubt jedoch niemand, daß die russischen Fischer ihre Quote noch nicht ausgeschöpft haben. Doch die Überwachung der russischen Behörden ist offenbar mangelhaft. Und die Fischfabriken scheren sich ohnehin nicht darum, ob die Quote der russischen Verkäufer schon ausgeschöpft ist.
„So kann es nicht weitergehen“, sagen daher Olav und Charles. Einar Johansen, Vorsitzender der „Finnmark Fiskarlag“, Berufsorganisation der nordnorwegischen Fischer, kennt die Stimmung an den Kais: „Die Zeit für Aktionen ist reif. Wenn die Regierung den Fischfabriken nicht endlich verbietet, Russenfisch aufzukaufen, werden wir aktiv. Dann werden die Häfen blockiert.“ Die Fabriken, so der Vorwurf, kaufen in großem Umfang schwarz auf. Auf diese Weise könnte die Industrie gut verdienen und das Quotensystem zu einer Farce machen.
Fischaufkäufer Arne Pedersen sieht das freilich ganz anders: „Sollen wir dichtmachen, nur weil die eigenen Fischerboote ihre Quoten aufgefischt haben? Endlich läuft hier oben im Norden die Fischwirtschaft wieder.“ Sicher gebe es einzelne Betriebe, die schwarz kaufen würden, doch das beträfe nur geringe Mengen. „Wenn wir den Russen den Fang nicht abnehmen, dann liefern sie eben nach Dänemark, England, Holland, Deutschland. Halten wir hier mit Russendorsch die Räder am Laufen, dann kommt es doch unseren eigenen Fischern am meisten zugute.“
Die fischverarbeitende Wirtschaft ist in der Provinz Finnmark tatsächlich aufgeblüht. Wo noch in den achtziger Jahren eine Fischfabrik nach der anderen dichtmachen mußte, haben mittlerweile fast alle den Betrieb wieder aufgenommen. Die Zahl der Fischerboote hat sich hingegen fast halbiert, und der Abwärtstrend scheint ungebrochen. Olav Pedersen hat eine Zukunftsvision, in der norwegische Fischer gar nicht mehr vorkommen: „Die russischen Trawler werden den Markt nach und nach an sich reißen. Schon jetzt werden Fischquoten wie Aktien gehandelt. Und wer am billigsten liefern kann, wird überleben. Das sind ganz sicher nicht unsere Boote.“
Zu allem Überfluß sehen die norwegischen Fischer nun auch noch die Früchte der von Oslo aufgezwungenen Quotenpolitik davonschwimmen: In diesem Sommer haben sich Fischerboote aus aller Herren Länder auf eine Lücke im norwegisch-russischen Fischbewirtschaftungssystem gestürzt: auf das Schlupfloch „Smutthullet“, das mitten im Barentsmeer, zwischen den 200-Meilen-Wirtschaftszonen der beiden Länder liegt. MeeresforscherInnen bezeichnen dieses Gebiet als „Kinderzimmer“ der Dorsche und vieler anderer Fischarten. Norwegen und Rußland hatten es trotz fehlender völkerrechtlicher Grundlage in den vergangenen Jahren geschafft, die Fangordnung auch im „Smutthullet“ einigermaßen aufrechtzuerhalten. Mit traditionell hier fischenden Ländern hatten sie Quoten vereinbart, die den Fischbestand des gesamten Nordatlantiks schützen sollten. Doch vor einigen Wochen tauchten hier plötzlich ganz neue Flaggen aus karibischen und westindischen Kleinstaaten auf, mit denen keine Übereinkommen bestehen. Hinter den skrupellosen Piratenfischern steckt dänisches und faröisches Kapital. Inzwischen stürzen weitere fremde Fischerboote ins Schlupfloch, zuletzt eine Armada von 25 isländischen Trawlern, die ihre eigenen Fanggebiete leergefischt haben.
Daß es am Schluß nur Verlierer dieses Fischereikriegs geben wird, steht fest. Wenn nämlich die letzten Fischgründe der Nordhalbkugel zu Fischmehl und Düngemittel verarbeitet sind, wird es dort weder Fischer noch Fischfabriken mehr geben.
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