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IG-Metaller als Automanager

Gewerkschafter werfen Arbeitgebern vor, japanische Produktionsweise nicht verstanden zu haben / 100.000 weitere Jobs gefährdet  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die Verkehrspolitik steht auf dem Merkzettel der IGMetall, behauptet deren Sprecher Jörg Barczynski. Aber in der aktuellen Krise der deutschen Automobilindustrie gehe es zunächst darum, einen weiteren dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern. Schon 100.000 Leute haben ihren Job seit dem Boomjahr 1991 verloren, als die sieben deutschen Autoschmieden und ihre Zulieferer wie verrückt Vierräder produzierten, um den Hunger der Ostdeutschen nach Westmobilen zu befriedigen. Wenn nichts getan werde, stünden bis Ende nächsten Jahres 100.000 weitere der bisher noch 1,6 Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel, so IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Er forderte gestern einen runden Tisch, an dem neben den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern auch Minister aus Bonn Platz nehmen sollten.

Die Vorschläge der IG-Metall sind von konventionellem Zuschnitt – erst Arbeitsplatzsicherung, und später vielleicht das Nachdenken darüber, ob diese Industrie längerfristig Sinn macht. „Wenn wir die Autos nicht bauen, bauen sie andere“, beschreibt Barczynski die Perspektive. Die Fehler, die die IGMetall den Autobossen vorwirft, sind gravierend, aber nicht grundsätzlich – man wähnt sich in einem Boot.

„Statt die Unternehmen wetterfest zu machen, hat sich das Management im Aufschwung gesonnt“, wirft Zwickel den Arbeitgebern vor. Schon in den 80er Jahren habe sich die Krise abgezeichnet. Und die jetzt anvisierte Arbeitszeitverlängerung, die Planung von Rund-um-die-Uhr-Produktion und die bereits praktizierte Knebelung der Zulieferer mache alles nur noch schlimmer. Von der japanischen Produktionsweise hätten die Manager, die nach einem Besuch im Reich der aufgehenden Sonne „mit glänzenden Augen und Sehnsucht in der Stimme von niedrigen Löhnen und langen Arbeitszeiten“ berichteten, im Kern nichts verstanden, meint der IG- Metall-Chef. Nur ein Drittel der niedrigeren Kosten in Japan sei auf Faktorkosten zurückzuführen, also Lohn und Materialeinsatz. Eine ausgeklügeltere Konstruktion trage ein weiteres Drittel zur Kostenersparnis bei: In Japan achteten die Ingenieure weitaus mehr als hierzulande darauf, daß später möglichst wenig geschraubt und nicht jedes Kabel einzeln verlegt werden muß. Zum dritten arbeite das Management dort wesentlich effizienter und plane keinen solchen Unsinn wie hierzulande. „Für den Golf gibt es zum Beispiel 29 verschiedene Hinterachsen, die alle entwickelt, in relativ kleinen Mengen produziert und jetzt auch noch gelagert werden müssen. Und dabei wird kein Mensch sein Auto aufgrund der Hinterachse aussuchen“, gibt Barczynski ein Beispiel für Kostenerzeugung in den Chefetagen der Automobilbranche. Auch in der Modellpolitik planten die Deutschen am Zeitgeist vorbei: Hierzulande behält der Autobesitzer im Durchschnitt sein Gefährt vier Jahre lang. Dann will er einen Tapetenwechsel in seinem rollenden Wohnzimmer. Es müsse also alle vier Jahre ein neues Modell geben, folgert die IGMetall. In Deutschland brauchen die Konstrukteure aber sieben Jahre dafür.

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