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Der Handelskammer zur Freude

■ Wirtschaftskreise, CDU und einflußreiche Zirkel in der SPD liebäugeln mit einer rot-schwarzen Koalition

CDU-Kandidat Dirk Fischer träumt sehnsüchtig von ihr, die Handelskammer fände sie fein und SPD-Fraktionschef Günter Elste kennt sie bereits aus eigener Erfahrung: Die Große Koalition. Noch ist jede öffentliche Diskussion tabu. In Hamburg spielen die Parteien – mit Ausnahme der Grünen – derzeit kollektives Blindekuh in Sachen Koalitionen. Hinter den Kulissen wird aber bereits umso heftiger an Schubladenkonzepten gearbeitet.

Eine einflußreiche Minderheit des politischen Establishments bosselt dabei am Konstrukt einer Großen Koalition. Besonders eifrig ist die CDU. Kein Wunder: Anders als bei früheren Wahlen ist ihre Chance, die SPD mit einer schwarzgelben Koalition abzulösen, so sehr nahe Null, daß sie selbst als scheinheiliges Wahlziel nicht mehr herhalten kann. Vordringlich ist es für die CDU deshalb, durch ein eigenes Wahlergebnis möglichst deutlich über der 30-Prozent-Marke die SPD vor der absoluten Mehrheit der Sitze zu bewahren. Dann, so machen sich die Optimisten in Fischers Wahlteam Mut, „ist alles drin“.

Schon im Wahlkampf behandelt die CDU Voscherau und die SPD deshalb mit Samthandschuhen. Für ein Mitregierendürfen würde die CDU in Hamburg alles, aber auch wirklich alles tun. Noch freilich wirkt das Trauma der geplatzten Koalitionsverhandlungen vom Frühjahr 1987: Damals war die CDU stärkste Fraktion: Zusammen mit der GAL hatte sie eine Mehrheit in der Bürgerschaft. CDU-Spitzenmann Hartmut Perschau bot damals den Verhandlungsführern der SPD, Stadtchef Klaus von Dohnanyi und Fraktionschef Voscherau, sogar den Verzicht auf den Senatsvorsitz an. Vergeblich: Voscherau ließ die Gespräche platzen, Neuwahlen folgten, die FDP zog ins Stadtparlament und Dohnanyi bekam seine Adeligen-Koalition mit FDP-Mann Ingo von Münch.

Gleichwohl blieben die Kontakte zwischen CDU und SPD, vor allem auf Bürgerschaftsebene, weit inniger, als dieser Koalo-Interruptus es vermuten ließe. Das tiefe Zerwürfnis zwischen FDP und SPD, vor allem aber gemeinsame Interessen halfen die Gräben überbrücken. Höhepunkt war die Große Diäten-Koalition des Jahres 1991, als CDU-Fraktionschef Kruse und SPD-Kollege Elste Gehalt und Rente gemeinsam festklopften. Diese Kontakte bestehen heute noch. Sollte Rot-Grün auf ernste Probleme stoßen, dann, so die Spekulation von Handelskammer und CDU, ließe sich das Thema Große Koalition mit dafür offenen SPD-Leuten schon auf den Weg bringen.

Taktiker Voscherau, der ursprünglich der CDU ein „Demokratie-Sünder dürfen nicht prämiert werden“ entgegenschleuderte, bewegen inzwischen schon mal staatsmännische Gefühle der Scharping-Art: Was in Bonn für 1994 angedacht wird, könnte, der Wirtschaft zur Freude, doch auch in Hamburg ausprobiert werden.

Von dieser Möglichkeit bis zu ihrer Realisierung ist es noch ein großer Schritt: SPD-Parteichef Helmut Frahm, weite Teile der Basis und selbst der konservativ-filzige Gewerkschaftsflügel haben das kategorische Nein schon auf den Lippen: Wie sollen Hamburgs Großgewerkschaften ihren Mitgliederschwund stoppen, wie die SPD die Bundestagswahl 1994 ansteuern, wenn sie sich vorher in Hamburg mit den Sozialkillern von der CDU einläßt? Zudem hat die alte Garde der konservativen Sozis einen ehernen Grundsatz schon mit der politischen Vatermilch eingesogen: Du darfst den einzigen großen politischen Gegner nie an der Macht teilhaben lassen.

Dieser kategorische Imperativ mildert die Berührungsängste mit den Grünen. Motto: Mit denen werden wir viel leichter fertig.

Florian Marten

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