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Prestige schlägt Umweltschutz

In Büros setzen die meisten noch immer auf blütenreines weißes Papier, obwohl die „grauen Seiten“ aufgrund ihrer Qualität längst mithalten können  ■ Von Christian Arns

Auf den Toiletten im neuen Berliner Abgeordnetenhaus steht Grau hoch im Kurs: Passend zu den Anzügen männlicher Politiker präsentiert sich selbst das Papier dezent, nachdem es jahrzehntelang eher zu den gestärkten Hemden paßte: in Weiß. Der Umweltschutz setzt sich also durch, könnten Besucher meinen, wenigstens in den sogenannten stillen Örtchen. Auch in großen Unternehmen mit Publikumsverkehr ist Recycling-Klopapier keine Seltenheit mehr, Grau ist „in“. Schließlich ist gar nicht einzusehen, warum es für diesen Verwendungszweck nicht auch Rollen aus Altpapier tun sollten.

In den Büros sieht das jedoch oft noch ganz anders aus. Der Anteil, den Recyclingpapier auf Schreibtischen ausmacht, ist nach wie vor gering. Dabei entspricht die Palette der angebotenen Papiersorten längst den gängigen Bedürfnissen: An Notizblöcke werden keine besonderen Anforderungen gestellt, Kopierpapier ist seit Jahren zu haben, Adreßetiketten werden von verschiedenen Herstellern angeboten, und selbst Papier, das ohne Kohlepapier durchschreibt, ist als Recyclingprodukt zu bekommen. Wichtig ist allerdings, daß auch bei Ökopapier auf die Herstellerhinweise geachtet wird. So eignet sich – wie beim weißen Papier schließlich auch – nicht jede Sorte für jede Nutzung.

Papier für Tintenstrahldrucker muß zum Beispiel extrem saugfähig sein, da sonst die Schrift verwischt. Recyclingpapier, das dieser Anforderung gerecht wird, ist ebenso auf dem Markt wie Schreibmaschinenpapier, das auch harten Anschlägen genug Stabilität entgegensetzt. Und zur Nutzung in Fotokopierern muß hohe Temperaturbeständigkeit gewährleistet sein, aneinander kleben dürfen die einzelnen Blätter schon gar nicht. Dr. Hans-Volker Rudolph von der Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und Materialprüfung hat sich mit der Kopiertauglichkeit von Recyclingpapier beschäftigt und dabei festgestellt: „Die Unterschiede in der Kopierqualität zwischen einzelnen Kopiergeräten sind größer als die zwischen Normal- und Recyclingpapier.“

Die Hersteller haben sich also auf die Erfordernisse eingestellt, sie bieten die komplette Bandbreite an. Ein Verzeichnis des Umweltbundesamtes in Berlin nennt 140 Papieranbieter, die alle mit dem „Blauen Engel“ werben dürfen. Anders als der „Grüne Punkt“, der alle Kennzeichnungen an Verpackungen in Verruf brachte, weil er lediglich eine Quittung, keineswegs eine produktbezogene Auszeichnung ist, ist der „Blaue Engel“ an festgelegte Kriterien gebunden: Papier erhält das Siegel nur dann, wenn das neue Produkt zu 100 Prozent aus Altpapier besteht und wenn es ohne Chlorbleiche aufbereitet wurde.

Doch umweltschonendes und fortschrittliches Grau wollen bislang nur wenige in ihrem Büro haben. „Das ist eine Imagefrage“, so Albrecht Tiedemann, Papierexperte beim Umweltbundesamt, gegenüber Öko-Test: „Man meint, daß Geschäftsdrucksachen nur dann ein besonderes Gewicht beigemessen werde, wenn hochwertiges, schweres und blütenweißes Papier verwendet wird.“ Bei Schreibblöcken und Schulheften ermittelten die Stiftung Warentest und ein Kaufhaus-Konzern ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Während in Bayern und Baden- Württemberg rund die Hälfte des Bedarfs in Grau gedeckt wird, liegt dieser Anteil in Norddeutschland erst bei einem Zehntel.

Insgesamt ist nicht einmal die Hälfte des in Deutschland verwendeten Büro- und Schreibpapiers aus Altpapier hergestellt; zum Vergleich: Bei Verpackungen sind es mittlerweile über 90 Prozent. Dabei sind die Mengen enorm: Im Durchschnitt verbraucht jeder Bundesbürger, ob Neugeborenes oder Manager, im Jahr 18 Kilo Papier am privaten Schreibtisch oder im Büro. Der Preis kann kaum ausschlaggebender Grund für den hartnäckigen Verbleib des bäumetötenden Weiß' sein. Nach neuen Untersuchungen der Stiftung Warentest sind die Ökoprodukte zwar im Schnitt etwas teurer, der Preisunterschied ist jedoch minimal. So kosten beispielsweise 500 Blatt weißes hochwertiges Kopierpapier knapp 16 Mark, die gleiche Menge graues Papier in gleicher Qualität und vom gleichen Berliner Großhersteller knapp 17 Mark.

Eine Mark, die sich auszahlt: 85 Liter Wasser und 7,3 Kilowattstunden Energie sind nach Untersuchungen von Öko-Test nötig, um ein Kilo holzfreies weißes Papier herzustellen. Um ein Kilo Recyclingpapier zu produzieren, braucht man hingegen nur 16 Liter Wasser und 3,6 Kilowattstunden Energie. Es müsse dabei allerdings berücksichtigt werden, daß der größte Verbrauch bei der Zellstoffherstellung anfällt, der größtenteils im Ausland stattfinde.

Trotzdem ist die „weiße Kunst“, die offenbar noch lange nicht zur „grauen Kunst“ wird, ein bedeutender Wirtschaftszweig in Deutschland: Im letzten Jahr wurden in hiesigen Büros rund 130 Millionen Aktenordner neu angelegt, daran konnten Datenbanken und Privat-PCs nichts ändern. Und die inländische Produktion von Büro- und Administrationspapieren stieg um fünf Prozent auf deutlich über eine Million Tonnen. Rund 260 Produktionsbetriebe erwirtschaften jährlich einen Umsatz von gut 17 Milliarden Mark.

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