■ Das Portrait: Die Ente
Die erste war blau, knallig himmelblau. Auch sonst war sie nicht besonders dezent, machte ordentlich Krach, legte sich heftig in die Kurven und ließ schon Tempo 100 halsbrecherisch erscheinen. 24 Pferde steckten unter ihrer kleinen runden Haube. Damals war ich zwölf, und die Mutter einer Mitschülerin stieß vergeblich den Schaltknüppel immer wieder in die röhrenden Eingeweide des Entchens, um vielleicht doch noch ein paar Sekunden auf dem Heimweg von der Schule herauszuholen. Es folgten 15 Jahre Entenpause. Nur hin und wieder verbanden sich weiße Friedenstauben auf himmelblauem Grund, selbstgedrehte Zigaretten, Landstraßen und das Schaukeln in den Kurven wieder zum Entengefühl. Beim Trampen stellte sich heraus, daß das wunderliche Gefährt 5 PS mehr bekommen hatte, daß es aber schaukelnd immer noch zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung animierte. Wenn das Fahren wie Gott in Frankreich sein soll, muß es einen Gott der kleinen Leute geben.
Dann kam das Yuppie- Zweitwagenmodell – Charleston. Gott, der dem Wachstum der Entchen von 9 auf 29 PS wohlwollend zugesehen und die Zahl seiner Blechtierchen auf über sechs Millionen hatte wachsen lassen, war vergrätzt: nix mehr mit alternativ und Friedenstauben. Da fehlten ja nur noch Airbag, ABS und Spoiler. Die heimische WG setzte sich aus Protest ab vom neuen Trend. 15 Leute fuhren zur Entenhochzeit den Wagen und beruhigten damit gleichzeitig ihr ökologisches Gewissen. 25 Pfennige kostete der Kilometer zuletzt, zu zweit oder zu dritt ein preiswertes Vergnügen, und als Transporter von Bierkisten war sie ideal. Ein friedliches Fahrzeug war sie. Doch schnatterte sie laut und fraß für ihr Gewicht doch viel. Sieben Liter wollte sie schon haben für hundert Kilometer – nicht gerade ein Sparzeug.
Klassiker Foto: Sabine Sauer
Nicht deshalb aber muß sie seit dem 27. Juli 1990 aussterben. Sie fiel dem Krieg auf Autobahnen, Landstraßen und Frankfurter Automobilausstellungen zum Opfer. Wenn Neuwagen im Schnitt 100 Pferde unter der Haube verstecken, werden Enten mit 30 zu Strecke gebracht. Das possierliche Tierchen war einfach nicht schnell genug. Schade! Uns bleibt nach 6.956.895 Enten nur noch die Hoffnung auf Hollywood – Mr. Spielberg, übernehmen Sie. H.-J. Tenhagen
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