NRW-SPD in der Bildungspolitik auf Schmusekurs

■ Frieden im Schulkampf angestrebt / Parteitag will gegliedertes Schulsystem festschreiben / Gesamtschule als Einheitsschule passé / GEW: „Bankrotterklärung“

Düsseldorf (taz) – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält die ganze Veranstaltung für überflüssig. Angesichts dessen, was der SPD-Landesvorstand in seinem Leitantrag zur „Weiterentwicklung der Bildungsreform“ vorgelegt habe, könne die Partei den am Samstag stattfindenden Sonderparteitag zur Bildungspolitik auch gleich „abblasen“. In dem Papier finde sich „kein einziger Satz“, so die GEW in einer Pressemitteilung, der „auch nur ansatzweise eine neue Perspektive“ eröffne. Fritz Junkers, der zuständige GEW-Referatsleiter, charakterisiert den Leitantrag schlicht als „Bankrotterklärung“ sozialdemokratischer Bildungspolitik.

Vor allem die Position der SPD- Führung, am gegliederten Schulsystem festzuhalten und die integrierte Gesamtschule den bestehenden Schultypen nur gleichrangig beizuordnen, bringt die linken und gewerkschaftlichen Kritiker auf die Palme. Ändern wird das an der sanft eingeleiteten bildungspolitischen Kurskorrektur der NRW- SPD indes nichts. Zwar heißt es im 1989 beschlossenen Grundsatzprogramm der SPD, daß die Gesamtschule „am besten geeignet“ sei, „unsere bildungspolitischen Ziele umzusetzen“, aber inzwischen graust immer mehr Sozialdemokraten davor, die von den Jusos geforderte „vollständige Ersetzung des gegliederten Schulsystems“ durch Gesamtschulen auch nur zu thematisieren. Nicht nur aus Furcht vor einem neuen Schulkampf, sondern auch deshalb, weil die Zweifel an der pädagogischen Sinnhaftigkeit von Einheitsschulen zunehmend auch die Sozis selbst plagen. Das integrierte Schulwesen, so lautet nun die gewiß mehrheitsfähige nordrhein- westfälische Version des Grundsatzprogramms, biete „die richtige Antwort auf viele bildungspolitische Fragen“ – aber eben nicht auf alle.

Das unterstreichen einige Daten. Gemessen an den Anmeldezahlen nimmt die Popularität der Gymnasien ständig zu. Zwischen 1970 und 1990 stieg die Zahl der Gymnasiasten pro Jahrgang in NRW von 25,4% auf 36,1% an. Im gleichen Zeitraum sank der HauptschülerInnenanteil von 59,6% auf 25,4%. Die Realschule nimmt – im Zeitablauf kaum verändert – rund 23% der Kinder auf, und zu den 171 Gesamtschulen wechseln inzwischen 14,2% aller Kids. Gemessen an den Anmeldungen fehlten im letzten Jahr rund 6.000 Gesamtschulplätze. Neugründungen soll es deshalb zwar auch künftig geben, aber insgesamt will die NRW-SPD nun den Blick „wegführen von Schulsystemen und ihn auf die Stärkung der einzelnen Schulen richten“. Mehr Kooperationsmöglichkeiten, größere pädagogische und finanzielle Freiräume für die Schulen vor Ort, so lauten die neuen Stichworte. Auf Antrag will die SPD-Führung den Schulen des Landes sogar erlauben, 5% ihres Stellenvolumens in Form von „Geld statt Stellen“ entsprechend des jeweiligen Bedarfs in eigener Regie zu verwenden. Sämtliche Vorschläge fußen auf der langfristigen Koexistenz der verschiedenen Schultypen.

Während die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Brigitte Schumann, die Garantie des gegliederten Schulwesens durch die SPD-Führung als eine „Anbiederung an konservative Politik“ geißelt, freut sich ein enger Mitarbeiter des Düsseldorfer Kultusministers Hans Schwier darüber, daß „die Schulstrukturdebatte in NRW nun endlich tot ist“.

Der Mann dürfte richtig liegen. Mit dem außerordentlichen Parteitag am Wochenende hofft die SPD an den Schulen des Landes politisch wieder Boden gutmachen zu können. Die Sparbeschlüsse infolge des sogenannten Kienbaum- Gutachtens hatten der Rau-Regierung 1992 eine riesige Protestwelle beschert. Durch Kürzungen von Ermäßigungsstunden für die LehrerInnen, durch größere Klassen und durch eine Reduzierung der Wochenstunden für SchülerInnen der Sekundarstufen I und II konnte zwischenzeitlich das von Kienbaum ermittelte Pädagogendefizit rein zahlenmäßig erheblich verringert werden. Allein die Streichung von Ermäßigungsstunden hat sich so ausgewirkt, als seien 3.000 neue LehrerInnen eingestellt worden. Doch dieses neue Gleichgewicht fußt auf alten Daten. Tatsächlich können die jetzt rund 157.000 LehrerInnen eine den Vorschriften gemäße Versorgung schon bald nicht mehr gewähren, denn die Zahl der SchülerInnen steigt bis zur Jahrhundertwende von jetzt 2,5 auf dann etwa 2,9 Millionen an. Allein zur Sicherung des heutigen Standards müßten rund 20.000 LehrerInnen zusätzlich eingestellt werden. Ein solcher Schub wäre für das hochverschuldete Land kaum zu verkraften.

Finanzminister Heinz Schleußer erwägt, die Lücke durch Mehrarbeit der Lehrenden schließen zu lassen: „Die steigenden Schülerzahlen provozieren solche Überlegungen geradezu.“ Einer entsprechenden Festlegung werden die Delegierten aus Sorge vor neuem Zoff wohl ausweichen. Die Forderung einer Antragsstellerin an den Parteitag, allen Beteiligten jetzt endlich „reinen Wein“ einzuschenken, harrt ihrer Erfüllung. Walter Jakobs