: Das Papiertiger-Quiz - (k)eine Realsatire
■ NDR hält spannende Polit-Sendung unter Verschluß / Zensur für die politische Bildung?
Als das Kreativ-Team „NDR 2000“ am 1. August sein Projekt in kleiner Runde vorstellte, verschlug es Intendant und Programmdirektoren erstmal die Sprache, dann, nach einer kleinen Pause, wurde herzlich gelacht. „Prima“, lobt Plog, „das hat Biß und Witz. So stelle ich mir Aufklärung in bester britischer Medien-Tradition vor.“ Das Lob des öffentlich-rechtlichen Äther-Beamten ging der Kreativ-Crew runter wie Sahne.
Ein bißchen Bammel hatten die drei Mädels und vier Jungs schon gehabt, bevor sie ihr pfiffiges Papiertiger-Quiz auspackten. Der Vorschlag: Eine opulente Live-Samstagabend-Show an den vier Wochenenden vor der Hamburger Bürgerschaftswahl. Gegenstand: Die Wahlprogramme der vier Altparteien. Die Grundidee: Jeweils vier Kandidaten-Crews müssen Sätze aus dem Wahlprogramm der richtigen Partei zuordnen. Für jede falsche Antwort wandert ein 5-Mark-Stück ins Spar-Schweindel des NichtwählerInnen e.V. Die KandidatInnen sollten jeweils, politisch anspruchsvoll, als Stammtisch-Besatzung auftreten. Zum Beispiel: Je ein Stammtisch aus Kirchdorf-Süd, Blankenese, Eppendorf und der Hafenstraße.
Die Sätze aus den Wahlprogrammen sollten, multimedial aufgepeppt, als Video-Clips, kurze Live-Sketche, etc. präsentiert werden. Zur Wahlaussage „Hamburg braucht eine Wende in der Flächenpolitik“ hätte beispielsweise ein Totengräber sein eigenes Grab graben können (Sketch), oder ein Pfannkuchen-Koch einen Bürohausblock in der heißen Pfanne wenden (Video-Clip), bei „Sicherheit für alle Bürger“ sehen wir den Comic-Helden Lucky Luke schneller schießen als sein Schatten ...
In mehreren heißen Spielrunden wird der „Stammtisch des Tages“ gekürt, in der Schlußrunde dann, am 18. September, sollte es um den „Stammtisch der 15. Legislaturperiode“ gehen. Hauptpreis-Idee des Teams „NDR 2000“: Rederecht in allen Bürgerschaftssitzungen für den Super-Stammtisch. Die vier Parteien wären im Papiertiger-Kostüm (Vorbild: Rosaroter Panther) durchs Studio gehoppelt und hätten die richtigen Antworten husch-husch ins schwarze, rote, gelbe oder grüne Körbchen getragen.
Natürlich hat das Kreativ-Team auch die Zuschauer nicht vergessen: Per TED dürften sie sich das Wunsch-Wahlprogramm des Tages zusammenstellen, am 18. September sollte ein Gesamtprogramm der Zuschauer verabschiedet werden. Eine ganz neuartige Form der TeleDemokratie und ein Beweis, daß auch die Öffentlich-Rechtlichen das Problem der Politikverdrossenheit kreativ und konstruktiv anzupacken verstehen.
Doch - kurz bevor der Kreativ-Crew der Kamm ins Uferlose schwoll, fiel das Fallbeil der Selbstzensur: „Natürlich“, so lächelte Plog salbungsvoll, „können wir so etwas niemals senden.“ Anstalts-Papa Plog strich seinen Jungs und Mädels verbal gütig über die Haare: „Das Konzept ist wirklich schlüssig, stimmig und hoch-quotenverdächtig. Aber: Mal abgesehen davon, daß der Rundfunkrat uns sofort exekutiert hätte. So ein Ding würde auch kein Privatsender jemals anfassen. Ihr seid unserer Zeit noch ein bißchen voraus.“
Florian Marten
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