: Der Weg der Flöte
■ Michael Marahrens ist Bambusflötenbauer und lebt von unserem Traum, allein auf einem Berg zu flöten
Das Bild ist purer Kitsch und so naiv, daß es wirklich etwas mit unserer Seele zu tun haben könnte: Ein Junge hockt auf einer Anhöhe über einer im Dunst versinkenden Hügellandschaft, hinter der die Sonne untergeht, und spielt Querflöte. Michael Marahrens (Jg.58) ist Flötenbauer und wirbt mit dem Bild für seine „Bambusflöten aus aller Welt“. „Das Bild,“ sagt Marahrens bei einem Werkstattbesuch, „spricht in uns eine archaische Sehnsucht an, bei der Flöte denkt man an Hirten, Schafe, Berge, Sonne, an Ruhe ohne Stress.“ Da das Flötenspiel sehr wenig mit Fingertechnik, umso mehr aber mit dem Atem zu tun hat, ist die Seele schnell mit im Spiel: „Der Klang der Flöte ist der Selbstlaut der Seele,“ hat ihm mal einer auf den Schaukasten seiner Werkstatt in der Sedanstraße geschrieben.
Ein furzendes Geräusch, ein Geblubber, auf einmal der mutmaßliche Brunftschrei eines Mammuts: Mein erster Versuch auf dem Digeridoo hat wenig Beseeltes. Schließlich gelingt es mir, unterstützt vom Meister („einfach reinschlabbern, darf ruhig naß werden“), für einige Sekunden den Ton zu halten. Keuchen, Schwindel. Könner spielen das zwei Meter lange, dicke Bambusrohr eine Viertelstunde am Stück, ohne abzusetzen — sie beherrschen das Geheimnis der „Zirkularatmung“, die es ermöglicht, zeitgleich einzuatmen und rauszutröten.
Das Didgeridoo ist ein Instrument der Aborigines Australiens. Es kann Geister rufen und Kranke heilen. Von Geübten wie dem Virtuosen und Kinderheiler Gary „Didge Man“ Thomas geblasen, entstehen Töne, die Häuser im Fundament gefährden und den „Verstand klauen“ (Marahrens). Töne, die uns erfassen und wegtragen. Solch metaphysische Dimension ist vielen Flöten gemein, das wissen die Panflötenspieler Südamerikas genauso wie die Zenmönche Japans, die die pentatonisch gestimmte Meditationsflöte Shakuhachi spielen. Ein Instrument aus dem Wurzelstück des Bambus, das man nie beherrscht, bei dem man immer „auf dem Weg“ ist.
Das Geheimnis der Flöte erfaßte vor gut fünfzehn Jahren den kleinen Gröpelinger Tomatenverkäufer Marahrens und ließ ihn nicht mehr los. Er, der keine Noten lesen konnte und nach Gehör oder Intuition spielte, zog mit der Flöte los und suchte Spielorte mit großer Wirkung. Wie den „Mäusetunnel“ in Walle, der so lang ist, daß das Echo eine ganze Sekunde braucht. Oder er spielte am Weserufer, daß Spaziergänger am anderen Ufer erstarrten. Die Zwiesprache mit den Bergen entfällt ja hierzulande leider — aber das Meer, das hat er schon mal im Urlaub angeblasen. Irgendwann entschloß sich er sich, von der Flöte zu leben, und fing an zu bauen.
Seine Werkstatt ist zuallerst ein Bambuslager. Von fingerdünn bis faustdick liegen die Röhren in Bündeln gestapelt; sie stammen aus Japan und Taiwan, woher sie ein Waller Spediteur holt, der sonst (und lieber, da sie nicht so wählerisch sind) Gärtnereien und Baumärkte beliefert. Der Rest ist Holzwerkstatt mit einigen Spezialinstrumenten wie den Feilen mit Verlängerung, mit denen man die längeren Röhren innen behandelt.
Nichts leichter als eine Flöte bauen: Man schneide ein Rohr, feile eine Anblaskante an einem Ende, bohre ein paar Löcher — fertig! Die Massenware aus der „Dritten Welt“ für ein paar Mark entsteht so und bringt Marahrens in Argumentationsnöte, wenn er seinen Kunden Preise bis 3.000 Mark erklären soll. Schwer ist, eine Flöte zu bauen, die klingt und darüberhinaus stimmt. Denn der Bambus hat seinen eigenen Willen, er lebt, reißt, ist unberechenbar und geheimnisvoll. Stimmt zum Beispiel erst mal die tiefe Oktav, heißt das gar nicht, daß die höhere, die man durch druckvolleres „Überblasen“ trifft, auch stimmt. „Es gibt nette Bambus' und nicht so nette,“ weiß Marahrens und hat gerade acht Pinkillos Ausschuß produziert — „keine war gut.“ Pinkillos sind die bekannten Hirtenflöten mit sieben Grifflöchern und blockflötenartigem Mundstück, die es auf der ganzen Welt gibt.
„Ich weiß nicht, woran es liegt — ich bin kein Theoretiker,“ meint Marahrens, der auch keine Fachbücher studiert und dem Noten schon zu einengend sind. An einer guten Pinkillo demonstriert er, wie er durch Überblasen bis weit in die dritte Oktave kommt. Auf die Obertöne antworten ganz zart seine metallenen „Windspiele“ und „Klangtempel“, die er auch im Angebot hat. Ob ein Instrument aus China oder Japan kommt, ob er seine Flöten wohltemperiert stimmt — Marahrens muß nicht alles wissen und überzeugt eher durch seine Begeisterung fürs Instrument. Darum taugen seine Flöten auch nicht für die Kunsthandwerkermärkte — Ausnahme: Weihnachten, da verschenkt man schon mal eine kleine Panflöte —; man kauft sich nicht so leichthin ein Instrument, weil man dann ja auch damit etwas anfangen muß.
Und also gibt Michael Marahrens Kurse in Flötenbau, macht Auftritte, lädt Kunden zu ausführlichen Unterhaltungen in seine Werkstatt ein: um die Menschen erst mal an ihre Sehnsucht zu erinnern; um sie dann auf den Trip schicken zu können, der ihn nicht mehr losläßt: den Weg der Flöte. Burkhard Straßmann
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