■ Press-Schlag
: Preußens Gloria

Monte Carlo (taz) – Wir befinden uns in der Stadt des Geldes und der SpielerInnen – Monte Carlo. Heute um 18 Uhr wird Ober-Croupier Juan Antonio Samaranch am IOC- Spieltisch um den Einsatz bitten: „Faites vos jeux, Mesdames, Messieurs!“ Die Kugel rollt seit Tagen und – heute abend fällt sie. Bloß wohin? Peking? Sydney? Manchester? Istanbul? Etwa Berlin?

Rien ne va plus. In der Berliner Combo geht atmosphärisch gar nichts mehr. Die Berlin-Euphorie hat sich im Spiel-Dorado wie ein geplatzter Luftballon in Luft aufgelöst. Bereits am Dienstag hat das Abrechnen begonnen. Walther Tröger, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK): „Wenn man uns jetzt schon einen Vorwurf machen kann, dann den der schlechten PR-Arbeit.“

Dem ist außer Details nichts hinzuzufügen. Die erste Pressekonferenz am Sonntag erfreute sich einer interessierten Journalistenschar – vor allem aus dem Ausland. Allerdings, die Schar schrumpfte täglich mehr. Selbst die französische Sporttageszeitung L'Equipe beschrieb genüßlich, wie sich der Pressesaal im Laufe der Konferenzen leerte: „Der Bürgermeister hat am Vortag dafür alles getan, was in seiner Macht stand.“

Übrig blieb ein Häuflein, das täglich um 15.30 Uhr aufs neue nicht wahrhaben wollte, daß Berlin inhaltlich und personell nichts zu bieten hat: keinen Greenpeace-Manager wie Sydney, das jeden Tag ein Bonbon durch einen hochkarätigen Referenten auspackte. Was soll man über Berlin auch schreiben, wenn Axel Nawrocki, immerhin der jährlich 360.000 Mark schwere Geschäftsführer der Olympia GmbH, lediglich zu erzählen weiß: „We did a good job.“ Wenigstens sprach er am ersten Tag noch Englisch. Das änderte sich schnell, nachdem sich zahlreiche Kollegen beschwerten, der Akzent sei doch arg germanisch. Fortan ließ Mann von Frau übersetzen, was dem Auftritt nicht unbedingt weltmännischen Flair verlieh. Ja, ja, es gab Ausnahmen: Friedrich Ruth, langjähriger deutscher Botschafter in Rom und Vizepräsident der Olympia GmbH, beispielsweise. Jener weltgewandte Herr zählte erst auf deutsch all die Berliner Vorzüge auf, die man seit Monaten gebetsmühlenartig herunterleiert, um sich hernach in einer „short version“, die ebenso lang geriet, selbst auf englisch zu übersetzen. Alles was recht ist. Die Türken tragen ihr Anliegen in fließendem Englisch vor, selbst die Chinesen greifen nur bei heiklen Fragen – Pressefreiheit und Menschenrechten – auf die Übersetzerin zurück, um Zeit zum Formulieren wohlfeiler Antwort zu schinden. Wenn man aber gar nichts zu sagen hat? Wäre es vielleicht angeraten, lieber nichts herauszuschinden.

Berlin setzt, sagt Diepgen tapfer lächelnd, auf den „Genius loci“. Allein, beim täglichen Stelldichein von Nichtigkeiten wurde das Geniale schmerzlich vermißt: Dafür präsentierte PR-Mann Christian Fürstenwerth der lokalen Größen um so mehr. Die Gesprächspartner: Eberhard Diepgen, Walther Tröger, Axel Nawrocki täglich, Berlins Sportsenator Jürgen Kleemann, Ruth und – ja wirklich, Diepgen, noch einmal zum letzten. Was sie sagten? Ungefähr immer dasselbe. Der Regierende Bürgermeister bekundete Mäßigung, man beabsichtige hier, gerade als Deutsche, „bescheiden“ auftreten. Zwei Sätze später offerierte er dem entgeisterten Publikum, das er zuvor mit dem Ratschlag verärgert hatte, man dürfe nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe, eine mündliche Einladung für die Eröffnung der Berliner Olympiade am 22. Juli 2000: „Ich werde da sein, und würde mich freuen, wenn Sie auch kämen.“

Jürgen Kleemann erwies sich als die ergiebigste Informationsquelle. Aus ihm sprudelten folgende Ergüsse: 44 der 90 IOC- Stimmen habe man bereits in der Tasche, die alles entscheidende 45. werde man bis Donnerstag, sprich bis heute, noch bekommen. Weiter im Text: Berlin könne 77 Kunststoffbahnen vorweisen, alle, man höre und staune, ganze 400 Meter lang. Netterweise hatte Jürgen Kleemann sein Funktelefon in der Rocktasche stecken, so daß es während der Konferenz auf der Bühne mitunter bei ihm piepste. „Nicht jetzt“, ließ der Mann von Welt auf dem Podium seinem Telefonpartner sowie die staunende Journaille daran teilhaben, daß er sich just in jenem Momente doch in einer Pressekonferenz befinde. Zum Mitschämen, fand der Berliner FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Biederbick. Er forderte Diepgen auf, den peinlichen „Proporz-Senator“ schnellstens heimzuschicken.

Die Roulettekugel rollt – nur gut, daß nicht die Journalisten entscheiden, wo sie halt zu machen beliebt. Aber ob die IOC- Mitglieder von Berlin eher angetan sind? Die Würfel sind wohl schon vor der eigentlichen Städte-Kür gefallen. IOC-nahe Journalisten wie Informationsdienstler Karl-Heinz Huba (sport-intern) – der auch bei Atlanta den richtigen Riecher hatte – prophezeien Berlin ein Debakel: Die 250 Millionen Mark teure Bewerbungskampagne werde gerade mal zehn Stimmen einbringen. Nur Istanbul fahre noch schlechter – fünf. Im K.O.-System scheidet der Bewerber mit dem geringsten Votum aus – sofern nicht bereits in der ersten Runde eine Stadt die absolute Mehrheit auf sich vereinigt. Wenn das der Fall sein sollte, käme nur Peking in Frage. Darauf setzen die Experten ihr Geld. So auch Monique Berlioux, frühere IOC-Direktorin und heutige Bürgermeisterin in Paris. Hubas Tip: Peking 35 Stimmen, Sydney 24, Manchester 15.

Kapital spielt die entscheidende Rolle im Spiel um die Spiele unter dem Banner der fünf Ringe. China heißt das Wirtschaftswunderland der Zukunft. Und weil angesichts von 1,1 Milliarden Chinesen okzidentale Unternehmen markteroberisch frohlocken, hat Peking die Wirtschaftslobby hinter sich. Zum Beispiel die olympischen Top-Sponsoren Coca-Cola oder Visa-Card. Der Yuan rollt. Frei nach Konfuzius: „Es ist ein Vergnügen, Freunde, die von weit her kommen, kennenzulernen.“ Peking macht daraus eine finanz-olympische Philosophie. Les jeux sont faits. Aber Spieler sind unberechenbare Menschen. IOC-Mitglieder auch. Cornelia Heim