Durchs Dröhnland: Mein alter Freund Canadian Club
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Jetzt hat der gute Hugo Race jahrelang angespielt gegen seinen Ruf, nur der Statthalter seines Lehrmeisters Nick Cave in dieser Stadt zu sein, während sich dieser schon längst in Rio de Janeiro die Berliner Blässe wegbrennen läßt. Zu diesem Zwecke produzierte er Platte auf Platte feingeistig versponnene, leise dahinflirrende Balladen, die in letzter Konsequenz den Absturz in den Kitsch zwar gerade noch mal verhinderten, aber doch immer recht genau wußten, wie schrecklich böse die Welt da draußen zu sein hat. Während sich Cave in den letzten Jahren gerade gegen diesen Kitsch kaum mehr wehrte, hat Race auf seinem letzten Album die eigene Vergangenheit als Begleitmusikant seines australischen Landsmannes wiederentdeckt. Da gibt es Stücke mit einer hart angeschlagenen akustischen Gitarre, während im Hintergrund ein atonales Gezerre die Lauscher krümmt. Trotz alledem aber ist Race vor allem sehr, sehr romantisch, sehr, sehr traurig und sehr, sehr langsam. So langsam, daß Zeit keine Rolle zu spielen scheint. So langsam, daß er sehr nahe an das herankommt, was man zeitlose Musik zu nennen pflegt.
Am 24.9. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Als ich zuletzt wieder einmal allein mit meinem Freund Canadian Club und dem Fernseher einen Abend zu Hause verbrachte, verging sich mein alter Kumpel Thomas Gottschalk, der sich mir schon in seligen Bayern-3-Zeiten böse in die Seele eingebrannt hatte, am heiligen Gedenken an die Sechziger und präsentierte eine Oldies-Show. Dort durften alle, die ihre Schäfchen nicht rechtzeitig in Trockene gebracht hatten, ihr Gnadenbrot etwas aufbessern und mußten sich dafür – bebildert mit dürftigen Gottschalkschen Jugenderinnerungen – von ihm ankündigen lassen. Der einzige, der Format bewies, war Eric Burdon mit einer klasse verhuschten Version von „House of The Rising Sun“, die das in Ehren ergraute Publikum sprachlos zurückließ. Die arme Melanie aber stand selbst mit Vollplayback so verloren wie immer auf der Bühne, ließ sich widerspruchslos mit Blumen bewerfen und ging wieder. Dabei gibt sie sich sonst alle Mühe, ohne allzuviel Rumreiten auf dem längst verjährten Image sie selbst zu bleiben. So kann man ihr nur wünschen, daß sie mit neuer Platte und dieser Tour nicht nur Alt-68er anlockt, die den Marsch durch die Institutionen ganz und gar nicht verkraftet haben.
Am 25.9. um 22 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36–39, Eingang Knaack, Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg
Wie die Zeit vergeht. Schon fast zehn Jahre ist es nun her, daß Deathmetal Großmütter erschreckte. Damals schon überzeugten Morbid Angel als Mitbegründer des Genres dadurch, daß sie mit Ansätzen von Gesang und halbwegs nachvollziehbaren Gitarrenriffs Menschen mit Berührungsängsten den Einstieg erleichterten. Geldverdienen und Kultstatus stand also nichts mehr im Wege, bis Sänger David Vincent in einem Interview einige ausgesprochen dämliche Bemerkungen über Afrikaner fallen ließ, was Cathredal die gemeinsame Tour aufkündigen ließ. Plötzlich bemerkte man auch noch, daß sie sich auf „Blessed Are The Sick“ bei einem „gewissen Führer aus der Vergangenheit“ bedankten, ohne später klären zu wollen, wen sie nun genau meinten. Fortan liefen sie in der Fachpresse als „Wichtelhirne“ und „Dumpfbirnen“, ohne daß jeweils die Bescheinigung fehlte, daß die Mucke natürlich weiterhin klasse ist. Anzunehmen, daß Morbid Angel von ihrer Weigerung, irgend etwas zu erklären, und den dadurch provozierten Diskussionen zumindest finanziell profitieren werden.
Mit Dismember und Grave am 25.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Sie woll'n immer noch nicht artig sein, aber ihre große Zeit ist vorbei. Im Wiederaufbau stören die selbsternannten Musik-Guerillas von Feeling B nicht mehr weiter. Ihre Zeit war die nahezu anarchistische Übergangsphase von der einen zur anderen Republik, als Hinterhöfe und eingefallene Keller dem gehörten, der sie haben wollte. Jetzt, wo auch bald der Potsdamer Platz wieder einer üblichen urbanen Nutzung zugeführt wird, ist abzusehen, daß die Biotope im Prenzlauer Berg auch bald austrocknen werden. So lange aber noch sind Aljoscha, Paul, Flake und der Wechselbalg am Schlagzeug mit ihren hysterischen Chorälen die deutsche Antwort auf die Dead Kennedys.
Am 25.10. um 21 Uhr in der Volksbühne, am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
Schalten Sie mal kurz das Radio ein, vielleicht hören Sie gerade Tim Finn. Wenn es denn so wäre, würde es ihnen wahrscheinlich nicht auffallen, denn die Musik des Neuseeländers klingt aufs erste Hören wie der gewohnte nette, kleine, belanglose Pop. Doch nun die Vorgeschichte: Finn war beherrschender Kopf bei Split Enz, Neuseelands immer noch erfolgreichster Band, die mit ihrem genialisch- einfachen Punkpop das Gegenstück zu den irischen Undertones verkörperten. Anschließend verdiente er seine Brötchen als Mitläufer bei Crowded House, der Band seines Bruders Neil Finn, und war somit nahezu am gesamten kommerziell erfolgreichen musikalischen Ausstoß der Schafinsel persönlich beteiligt. Während er auf seinen ersten Solo-Versuchen nach Split Enz den Eigenbrötler markierte, hat er sich nun völlig auf den bei Crowded House gelernten Willen zur guten Unterhaltung eingeschossen. Was ihn noch immer aus dem UKW-Einheitsbrei heraushebt, sind vor allem seine Texte, deren Grübeleien er noch nicht dem Kommerz geopfert hat, und dabei sein fast englischer, zynisch-trockener Humor: „Have you heard about the modern couple? They had everything, their income was double.“
Am 29.9. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Ein gutes Image ist heutzutage allemal wichtiger als Musik. Und da all die Böse-Buben- oder Verruchte-Schlampen-Bilder schon völlig ausgelutscht sind, versuchen es Green Jelly völlig anders. Ihr höchstes Glück wäre es, die schlechteste Band aller Zeiten zu werden: „Wir hatten den Namen, bevor es überhaupt die Band gab. Wir merkten schon kurz nach den Proben, daß niemand von uns Talent besaß.“ Die Band aus Buffalo zog vor fünf Jahren nach Los Angeles um, um sich dort in der „Gong Show“ (deutsche Variante auf RTL) zum Affen zu machen. Es war ihr allererster Auftritt und erregte leidlich Aufmerksamkeit. Um über die – nach Selbsteinschätzung – dürftigen musikalischen Ergüsse hinwegzutäuschen, bastelten sie sich jede Menge obskure Kostüme und steckten sich in Berge von Pappmaché. Doch allen Beteuerungen zum Trotz machen sie einen satten, wundervoll verqueren Punkrock und plündern schamlos im modernistischen Angebot aus HipHop, Metal oder auch schon mal Oper. Der angestrebte Titel gebührt da eher ihren Freunden von GWAR, die haben dafür die eindeutig häßlicheren Kostüme. Der Humor ist aber eindeutig auf der Seite von Green Jelly. Songtitel wie „Misadventures of Shitman“ oder „Trippin' On XTC“ sagen da alles. Als Höhepunkt dann die Coverversion von „Anarchy In The U.K.“, die zum Klagelied von Fred Feuerstein wird, inklusive „Jabba Dabba Du“ und dem verzweifelten Schrei nach „Wiiiilma“.
Mit Innerstate am 30.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, U- Bhf. Hermannplatz Thomas Winkler
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