Sterneschneuzen im Sinn-Zirkus

■ Immer noch im besten Sinne peinlich: Das 6. "Europäische Medien Kunst Festival" in Osnabrück

Hier eine Interaktion, dort eine Dekonstruktion und rundum Sexualitäts- und Todeskonnotationen. Schwupps – gerät man in einen Diskurs und kann dann sehen, wie man aus der Malaise wieder herauskommt... So ging's zu in Osnabrück während des „Europäischen Medien Kunst Festivals“. Eine Veranstaltung, die vom studentischen „experimentalfilm workshop“ zu einem Festival mit internationalem Renommee gereift und von der niedersächsischen Landesregierung als „unverzichtbar“ deklariert worden ist.

Die Ankündigung von Filmen über die „furchterregende Ekstase (handgemalter) synaptischer Nervenenden“ mag auf unvorbelastete Schaulustige abschreckend wirken. Deshalb war es in diesem Jahr erklärtes Anliegen der Organisatoren, mehr Breitenwirkung zu erzielen. „Wir sind davon ausgegangen“, so Alfred Rotert von der Festivalleitung, „daß wir auch andere Gruppen erreichen müssen.“ Deshalb versetzte man sich in die Rolle des Besuchers. Daraus entwickelten sich Ideen, wie man einen schwierigen Kontext verständlicher machen kann.

Diesem Anliegen kam entgegen, daß viele der zur Wahl gestellten Installationen und Performances mehr denn je „multisensuell“ strukturiert waren. Eine Ausstellung präsentierte vorrangig interaktive Kunstwerke, die Exponate luden die Besucher zur Partizipation ein. Ein offenbar ungewohntes Angebot, denn die im Blickfeld der Wachleute plazierte, vom Betrachter zu manipulierende Installation „TV-Chair“ von Yvonne Oerlemans wurde bestaunt, aber kaum angetastet, während das Publikum mit abgelegenen oder verhängten Stücken unbefangener umging.

„Ein Zirkus der Sinne“ nannte die Künstlergruppe Loophole Cinema ihre Performance, die in den brachliegenden Hallen eines früheren Stahlwerks stattfand und durch die Umwidmung des postindustriellen Raumes das Programm stimmig mit der Geschichte der Stadt verknüpfte. Mangelte es dort an dionysischen Komponenten, so ließen sich die Teilnehmer des als Gesamtkunstwerk konzipierten zwölfstündigen Multimediamarathons „Odyssee – auf der Suche nach einer neuen Kunst“ von einem französischen Starkoch mit themenbezogenen Delikatessen für die Mühen der Interaktion entschädigen. Ein wiederum in den Werkshallen lokalisierter Tekkno- Exzess ergänzte die Bemühungen um Publikumsakzeptanz. Keine abwegige Idee, denn die Wiederverwertungsstrategien der Tekkno-Musiker und Diskjockeys fanden ihre Entsprechung in einzelnen Beiträgen des Film- und Videoprogramms. So überträgt Martin Arnold – hier in „Passage a l'Acte“ – die Scratch-Techniken der „Recordartists“ auf die Kinoleinwand; Lourdes Portillo bringt divergierende Elemente via Videomontage in neue Zusammenhänge und bedient sich dabei eines Collagekonzepts, das populären Musikrichtungen wie HipHop und Tekkno als Basis dient.

Das Bemühen um Popularisierung schloß schwer verdauliche Programmbeiträge keineswegs aus. Die Jury der „Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten e.V.“, die im Rahmen des Osnabrücker Festivals alljährlich den Preis der deutschen Filmkritik in der Kategorie Experimentalfilm vergibt, kürte damit Rosie S. M.s. „Requiem für Requisiten“, eine „trotzige Biographie“ mit „allgemein- politische(r) Qualität“. Der Film, so heißt es in der Begründung, „verweigert sich seinem Publikum, bleibt unbequem – ein im besten Sinne peinlicher Film“. Der „Fuji- Kine Nachwuchspreis“ ging an Karola Schlegelmilch für „Vom Sterneschneutzen“ – „weil wir (weiterhin) Filme sehen möchten, die sich auf solch elementare Weise – aus der Froschperspektive – mit der Faszination der bewegten Bilder beschäftigen“.

Retrospektiven, Vorträge und Workshops rundeten das Programm ab. Eine noch junge Sektion ist das StudentInnenforum, das eingerichtet wurde, um, wie Alfred Rotert erläutert, „auch speziell den Nachwuchs im Medienbereich stärker in dieses Festival einzubinden“. Mit der globalen Einführung neuer Kommunikationstechnologien und den damit einhergehenden künstlerischen Auseinandersetzungen gewinnt das Festival als Schaltstelle zwischen Theorie und Praxis, Avantgarde und Populärkultur an Bedeutung. Dennoch ist die Existenz der Veranstaltung, die mit 357.000 Mark vom Land Niedersachsen und mit 235.000 Mark von der Stadt Osnabrück gefördert wird, nicht gesichert, da für 1994 noch keine Finanzierungszusage des von Sparzwängen gebeutelten Magistrats vorliegt. „Die Kulturpolitiker sind motiviert“, glaubt Rotert, „aber inwieweit sie das realisieren können, ist eine andere Frage.“ Immerhin: Das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur ließ ausrichten, man könne auf seine Unterstützung zählen. Harald Keller