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■ Filmstarts à la carteEin bis zwei Betten im Kornfeld

In Cannes, dem Festival, das sie zu Europas Lieblingsstars kürte, traten der chinesische Regisseur Zhang Yimou und seine Hauptaktrice und bis dato auch Herzdame Gong Li ein womöglich letztes Mal gemeinsam auf. „Zerrüttung“ stand wie mit Geisterlettern über ihren Köpfen geschrieben. Man werde privat auseinandergehen, wurde in dürren Worten erklärt, aber weiterhin Filme zusammen machen. Irgendwann brach Gong Li, von der man das nun wahrhaftig nicht gewohnt sein konnte, kurzerhand in Tränen aus. Es war erschütternd.

Keinen seiner Filme hat Zhang bislang ohne Gängeleien durch die Behörden drehen können, und in Cannes war zu sehen, was man womöglich ahnte: daß niemand das auf die Dauer aushält, ohne zumindest ästhetisch in die Knie zu gehen. Shanghai Triad, Zhangs letzter Film, wird demnächst hier in die Kinos kommen, aber versprechen Sie sich nicht zuviel.

Außen rot, innen hohl, könnte man kurz und gemein sagen; tatsächlich zerfällt der Film in zwei disparate Teile. Der erste, in rotgold getauchte, ist den Opiumschiebern der dreißiger Jahre, ihren Mätressen, Zigarettenspitzen und Schlachtritualen gewidmet. Der zweite wird, wie zur Strafe, auf eine graugrüne Insel versetzt, über der eine Art Tränenschleier liegt, jawohl: Tränenschleier. Warum schreibe ich das? Einige Berliner Kinos sind entschlossen, Zhang Yimous ungehobelte Frühphase nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das rote Kornfeld ist inzwischen fast schon ein bißchen untergegangen, dabei war es dieser Film, mit dem alles anfing.

Ländliches China Ende der zwanziger Jahre: Ein armes Blütenmädchen namens Jiuer soll verheiratet werden, mit einem reichen Leprakranken – eine wahrhaft Gebrüder-Grimm-trächtige Konstellation. Schöne und Biest und ein Kornfeld. Ohrringe werden angehängt, Kragen aufgestellt, Blusen zugeknöpft – und ab in die Sänfte. Rot, rot prangt es aus den Feldern, und irgendwann schütteln sie die glatzköpfigen Träger in ihrer samtroten Zelle: sie soll ihnen ein Lied singen. Sie soll den Mann nicht anfassen. Und daß er Lepra hat.

Sollen sie nicht lieber umkehren? Sie schütteln die Braut und schütteln, aber ehe sie es sich versehen, kommen Wegelagerer und verlangen alles Gold und Geld. Natürlich wollen sie dann auch die Frau, aber einer der Träger wirft sich für sie ins Gefecht. Wenig später wird er ihr ein Bett im Kornfeld schlagen, die Kamera fährt zwischen den Halmen hindurch wie ein gehetztes Tier; es ist nicht der Blick der Frau, den man hier sieht, sondern frei ausschweifendes, aggressives Begehren.

Die politische Brisanz dieses Films entstand nicht auf „direktem“, quasi agitatorischem Wege, denn Zhang mußte immer über Bande spielen. Der reiche Lepra- Mann stirbt, nun ist Jiuer die Herrin der Brauerei. Frohen Mutes verteilt sie alles unter „ihre Leute“, womit überraschenderweise die Träger gemeint sind. Aus der Kult-Sänfte ins freie Kollektiv: das könnte so einen Zensor schon nervös gemacht haben. Die „Strafe“ folgt auch prompt auf dem Fuß: Der Einmarsch der japanischen Armee zerstört diesen frühen Kibbuz, ihre Brutalität und Raserei würde auch dann noch nachhallen, wenn nicht alle von ihr betroffen gewesen wären. Nur hilflose Rache bleibt den Hipstern.

Kornfeld und Schnapsbrennerei sind nicht bloß die Topographie des Films, sondern wirken wie alchemistische Brutstätten. In China soll der Film binnen kurzem Kultstatus erlangt haben: die Lieder von Lu-Ji wurden alsbald in den Diskotheken des Landes zur Erbauung der Jugend gespielt, verschmolzen mit New Wave oder als Karaokeversion.mn

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