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Konsum mit Teilzeitrabauken

■ Im „Weserpark“ treiben die Wikinger ihr zeitgemäßes Unwesen

Insgeheim hatte ich doch gehofft, sie würden sich einmal noch benehmen wie ehedem: mordsmäßig daneben eben. Brandschatzend wollte ich sie durch HiFi-Landschaften poltern, gröhlend in Gourmet-Reservate einfallen, nach Met und Moschusochse muffelnd die Parfümerien erstürmen sehen. Doch die Wikinger von heute sind einfach nicht mehr das, was sie einmal waren. Im Frühmittelalter verbreiteten sie in ganz Europa Angst und Schrecken, im Spätkapitalismus verbreiten sie nun im Bremer „Weserpark“ heiter-humorige Einkaufsatmosphäre.

Angetan mit Ledersandalen, Pluderhosen und Kettenhemden, geben die Normannen des 20. Jahrhunderts im Foyer des Konsumtempels zwar noch halbwegs überzeugend die vielbestaunten wilden Männer ab. Doch welch ein Trugschluß! Die langmähnigen Zausel, die dort mit furchterregendem Instrumentarium Drachenköpfe häkeln, Ledertaschen schnitzen oder Kampfhelme drechseln, sind allesamt nur in Kurzurlaube entlassene Teilzeitrabauken. Den Lebensunterhalt verdienen Niels Gunni Vase, Oleg Zacarow oder Sören Nordenkjaer wie jeder Nicht-Wikinger auch - als Grafiker, Feuerwehrmann oder Lehrer.

Als solcher fristete auch Burghard Pieske einst ein eher tristes Dasein - bis er, „erfolgreich gekündigt und in Ehren entlassen“, nach Ende seines Twen-Daseins zum Berufswikinger mutierte. Der Schleswig-Holsteiner, „vom Gesicht her 65, aber in Wirklichkeit 51“, ist in unseren Breiten der prominenteste seiner Zunft. Seit er vor wenigen Jahren im hölzernen Drachenboot „Viking Saga“ ohne Motor oder elektronische Navigation von Norwegen nach Nordamerika schipperte, heißt man ihn in hiesigen Wikinger-Zirkeln den Leif Eriksson der Bundesrepublik. Der gilt, statt des verhaßten Columbus, den Nordland-Freaks als eigentlicher Amerika-Entdecker. „Wer vor 1000 Jahren schon solch ein Boot bauen konnte“, tritt Pieske dem Negativ-Image des damaligen Chef-Wikingers entgegen, „der hatte mehr in der Birne, als nur andere Leute zu vermöbeln.“

Bis zum 21. Oktober versperrt die „Viking Saga“ nun in voller Länge von 17,60 Metern den Weg der „Weserpark“-Kaufrauschenden - und Horst Michaelis ist's zufrieden. „Das sind echte Profis“, lobt der Manager der shopping mall die Künste von Pieske und Co., „keine Studenten, denen Du ein paar Mark in die Hand drückst und sagst: Mach mal. Da kommt doch nur Blubberkram bei rum.“ Die versunkene Kultur der Wikinger zwischen Büchern, Baumwollpullis und Bratpfannen opulent und kompetent zu präsentieren, sei ihm ein persönliches Bedürfnis: „Ich bin selbst einmal ein Jahr auf der Gorch Fock gefahren“. Lukrativ sei eine solche Sonderschau natürlich auch - und lehrreich noch dazu: „Wußten Sie, daß die noch mit Schachtelhalmen ihr Horn geschliffen haben?“

Wußte ich nicht. Ebensowenig, daß die Wikinger-Damen in Sachen Emanzipation in jenen geistfernen Zeiten weiter waren als heute so manche Kaufmannsgattin in Bremen-Vegesack. Oder daß die Wikinger einst in antiklerikalem Aktionismus die Kirchen ihrer Opfer gestürmt haben. Burghard Pieske: „Das hat ihnen eine schlechte Presse eingebracht. Seither gelten sie als echte Banausen der Geschichte.“

Von diesem üblen Leumund nicht allzuviel abzubekommen, macht der weißbärtige Weltumsegler gelegentlich auch mal Pause vom medienwirksamen und auch einträglichen „Hägar“-Dasein. Im kommenden Winter zum Beispiel geht's statt ins nächste Kaufhaus zur Entspannung in die Karibik: „Ich kann schließlich nicht immer nur durch Torfmull latschen und mir Met reinpfeifen.“ Doch obwohl ihm derartige Pausen gut tun - eine andere Existenz als die des Wikingers kann sich Burghard Pieske nicht mehr vorstellen: „Zurück in den Lehrberuf? Niemals! Oder plötzlich als Apache durch die Gassen laufen - das wäre doch pure Clownerie...“ Holger Jenrich

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