: Feminismus als Legitimationsdiskurs
■ Crashkurs mitten ins postmoderne Wissen: Zu einem Vortrag von Christina Thürmer-Rohr
Einmal mehr erklang am Montag abend im Philturm der Universität das Hohelied der Differenz. Eingeladen vom Frauenbildungszentrum „Denk(t)räume“, sprach Christina Thürmer-Rohr, Sozialpädagogik-Professorin an der Technischen Unversität Berlin, vor einigen hundert Frauen über „Denken der Differenz – Feminismus und Postmoderne“.
Daß die Moderne kein unvollendetes, sondern ein moralisch erledigtes Projekt sei, daß die Postmoderne ein bunter Haufen von Denkrichtungen gegen die entmenschlichende Rationalität des zwanzigsten Jahrhunderts sei, daß das Denken der Differenz, des Unterschieds, der Pluralität das un-herrschaftliche Mittel gegen die Herrschaft der Durchblicker, der Alleswisser, der Totalisierer sei – kurz, einen Crashkurs mitten ins postmoderne Wissen lieferte Thürmer-Rohr der versammelten, durchaus nicht nur akademischen Frauschaft.
Die Praxis des Sortierens und des Kategorisierens sei es, mit der „die Moderne“ abgewirtschaftet habe, lautet die schon oft zitierte Anklageschrift. Aber warum gilt der Differenz-Kultur die Differenzierung als Wurzel allen Übels? Hannah Arendt sei eine Garantin des Differenz-Denkens gewesen, so Thürmer-Rohr.
Die „totale Indifferenz“, die Abwesenheit des Denkens, die Hannah Arendt dem Nazi Adolf Eichmann diagnostizierte, sei ein Ausfluß der Rationalität der Sortierpraxis, sagte Thürmer-Rohr und spielte auf die Selektion von Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten an. Doch wenn die Chiffren der Menschenvernichtung ständig mit der modernen Praxis von Analyse und Kritik in einen Topf geworfen werden, wird der Unterschied zwischen Differenz und Differenzierung ein moralischer.
Das Denken der Differenz rutscht dann in die Nähe einer neuen Heilslehre, deren Botschaft so neu nicht ist. Sich die Welt aus den Augen der anderen anzuschauen, den Perspektivwechsel vorzunehmen, oder, um mit dem Papa aus „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee zu sprechen: sich in die Schuhe des anderen zu stellen, war schon immer ein guter Tip zur Konfliktvermeidung.
Da ist es doch spannender herauszufinden, welche Chance „die Differenz“ der feministischen Theorie und Praxis bietet. Differenz ist Mehrdimensionalität, Einheit ist Einzahl, definierte Thürmer-Rohr und berief sich auf die Ikone Judith Butler. Ebenso wie die Einheit der Frauenbewegung zu fordern garantiert zur Entsolidarisierung führe, sei die Annahme, das Subjekt sei ein einheitliches und mit-sich-identisches, eine Absage an seine Lebendigkeit. „Die Person im Singular ist halbtot.“ Nicht mehr das Streben nach weiblicher Identität, sondern die Dekonstruktion der Kategorie „Geschlecht“ solle Grundlage einer postmodernen Störpraxis sein.
Solcherlei Theorie lasse sich nicht in pragmatische Politik umsetzen, benannte Thürmer-Rohr den Lieblingseinwand aus den Niederungen des feministischen Alltags, gab aber gerne zu, daß ihr nach einer Auseinandersetzung damit nicht der Sinn stehe. Allerdings: Als Plädoyer für antifundamentalistische Politik und provisorische Zusammenschlüsse – sogar mit Männern – könne Butler durchaus verstanden werden.
Nun mag das Argument, daß die Frauenbewegung ohne Einheit bisher nichts erstritten hätte, ebenso richtig wie altmodisch sein – zumindest an den Universitäten drängt sich tatsächlich oft der Verdacht auf, postmoderner Feminismus sei ein reiner Legitimationsdiskurs der zu Amt und Würden gelangten Frauen.
Denn trotz der inzwischen leierkastenmäßigen Beteuerungen, mehr Fragen als Antworten zu haben, keinen Wahrheitsanspruch erheben zu wollen und überhaupt ganz wenig nur zu wissen, bleibt das „Und jetzt?“ berechtigt. Die Erkenntnis, daß Frau nicht gleich Frau ist, kann nicht ewige Konsequenz, sondern höchstens Grundlage feministischen Wissens sein. Und Wissen, das sich selbst lahmlegt, dient bekanntlich zumeist den Falschen.
Ulrike Winkelmann
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