: Tabubruch mit Pillen und Pipetten
Geklonte Spatzen und andere Fruchtfliegen: Gleich vier Ausstellungen zeigen, wie Kunst, Wissenschaft und Gentechnologie zusammenwachsen ■ Von Jochen Becker
Kürzlich lief im Fernsehen der Spielfilm „Lorenzos Öl“, der den unumstößlich scheinenden ExpertInnenmeinungen eine Absage erteilt. Im Verlauf der Hollywood- Krankengeschichte entdeckt ein gutbürgerliches Elternpaar nach zermürbenden Selbststudien (Arztbesuch, Selbsthilfegruppe, Bibliothek), daß ein spezielles Speiseöl den Sterbeprozeß ihres unheilbar kranken Kindes aufhält. Im Unterschied zur Fortschrittspropaganda im Stil von „Abenteuer Forschung“, wo es heißt, daß Krebs im Jahr 2004 heilbar sein wird, öffnet sich hier ein Weg abseits des medizinisch-industriellen Apparats.
„Forschung und Industrie verhalten sich noch viel zu sehr wie zwei eigenständige soziale Systeme“, beklagte jüngst Olaf Henkel als Präsident des Bunds Deutscher Industrie e.V., und forderte, „Barrieren für neue Forschungsgebiete“ abzubauen. Die gesetzlich verankerte Freiheit der Wissenschaft und Forschung auf ihre Rentabilität hin zu orientieren, wie es Henkel einfordert, schlägt sich im Wissenschaftsbetrieb nieder. So wird etwa der „Aids-Rebell“ Peter Duesberg geschnitten, wenn er die Gleichsetzung von HIV-Infektion und Aids-Tod anzweifelt; Peter Singer erhält jedoch ständig neue Foren, wenn er die Ökonomisierung des Lebens propagiert.
Auch in der Kunst werden die Tabubereiche neu abgecheckt. Mehrere Ausstellungen entlang des Rheins befassen sich zur Zeit mit Arbeiten im Grenzbereich von Kunst, Forschung und den (bio-)technologischen Anwendungsmöglichkeiten. Die im Wochentakt eröffneten Präsentationen von Bonn bis Rotterdam widmen sich in spekulativer Weise „kreativen“ Wissenschaftsmodellen und „berechenbaren“ Artefakten, führen real oder am Computer manipulierte Körper vor oder machen die BesucherInnen zu Versuchspersonen.
Der als Künstler und Wissenschaftler gehandelte Carsten Höller verkündet am lautstärksten einen biologistischen Essentialismus und ist gleich an vier Orten präsent. Bei der Gruppenausstellung „Die Berechenbarkeit der Welt“ im Bonner Kunstverein und – zusammen mit seiner Partnerin Rosemarie Trockel – im Rahmen des Rotterdamer Kunstfestivals „Manifesta I“ zeigt er einzelne Arbeiten; der Kölnische Kunstverein übertrug ihm seine gesamten Räume für eine Soloshow; und das Amsterdamer Kunsthaus De Appel lud Höller als „Hybrid“-Experten ein. Während hier Virologen und Molekulargenetiker mit Vorträgen über „State of the Arts in der Wissenschaft“ die Gruppenausstellung eröffneten, wurde in Köln ein interdisziplinäres „Glück“-Symposium mit Telekom-Philosoph Norbert Bolz, Sexualforscherin Shere Hite und dem medienpräsenten Hirnforscher Detlef B. Linke einberufen.
Das Kölner ExpertInnentreffen über „eines der großen globalen Themen unserer Zeit“ moderierte Andreas Grosz als Verantwortlicher für Kultur und Kommunikation. Grosz firmierte bis zur kürzlich erfolgten Demission als künstlerischer Leiter des Industrie- Events „Expo 2000“ auf dem Messegelände Hannover. Diese Interdisziplinarität läuft laut Sabeth Buchmann „offensichtlich darauf hinaus, künstlerische Praxis immer mehr an die Bedingungen herrschender Wissens- und Informationsproduktion anzugleichen“, wie sie in der Zeitschrift Beute vom Winter 1995/96 schreibt. Forschung wie auch kulturelle Produktion werden durch Drittmittel und Kunstsponsoring angehalten, ökonomische Verwertbarkeit und wirtschaftspolitische Kompatibilität nicht aus den Augen zu verlieren. Für Carsten Höller ergibt sich daraus nicht mal ein Konflikt: Im Jahresheft des „Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI“ zeigte er sich von den industriellen Versprechungen ohne Zweifel überzeugt.
Kunstförderung dank Saatzucht
Vielleicht sollte man wissen, daß der Vorstandsvorsitzende des BDI-Kulturkreises, Arend Oetker, sein Geld nicht nur mit der Fabrikation von „Schwartau-Extra“ macht, sondern letztes Jahr 20 Prozent der KWS Kleinwanzleber Saatzucht erwarb. Die Aktiengesellschaft stellt mit hohen Investitionen gentechnisch veränderte Zuckerrüben und Mais her. Und Heinrich Höfer, Leiter der Abteilung für Forschungs-, Technologie- und Strukturpolitik im BDI, äußerte gegenüber der FAZ das Bestreben, „Deutschland in den Biowissenschaften und in der Biotechnik bis zum Jahr 2000 zur Nummer eins in Europa zu machen“.
Während AktivistInnengruppen auf die Nummer eins pfeifen und lieber die Versuchsfelder zerwühlen, ist Höller schon bei der weitgehend tabuisierten Humangenetik angelangt. So phantasiert er im BDI-Kunstband über ein „Bordell voller Zwillinge“, die allesamt Kate Moss zum Vorbild haben. Und wenn er die „Wahl des Partners von essentieller Bedeutung für den weiteren Fortbestand der eigenen Gene“ einschätzt, gehörte der Techno-Sexist eigentlich vor die Tür gesetzt. Doch Höller wird nicht trotz, sondern wohl genau wegen dieser Sprüche vom Mainstream der Tabubrecher eingeladen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Kölns Kunstvereinsleiter Kittelmann als Berater des Kulturkreises im BDI fungiert, oder Rotterdams besagtes Kunstspektakel das KFA Jülich – besser bekannt unter dem Namen Kernforschungszentrum – als Sponsor verzeichnet.
Das „Testfeld Kunst“ (Buchmann) und die Freilandversuche mit genmanipulierten Pflanzen liegen näher beieinander, als es den jeweiligen KuratorInnen gewahr wäre. Im Umkreis von weniger als drei Stunden Fahrzeit zeigt sich eine zur Schau gestellte Ambivalenz, die der rhetorischen PR-Floskel von „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ entspricht und doch immer schon die Durchführung meint: In der Düsseldorfer Kunsthalle riefen bei der Ausstellung „Happy End“ die Berichte aus den Forschungslabors „gleichermaßen Bewunderung und Schaudern“ hervor, weil dort Dinge „hinter verschlossenen Türen stattfinden“ und deshalb „Mystifikationen und Angstreaktionen geradezu vorprogrammiert“ seien. Zu sehen gab es Marc Quinns „Selbst“, ein abgekapselter Kopf aus gefrorenem Blutplasma (von dem in Amsterdam ebenfalls eine Variante gezeigt wird) oder Damien Hirsts „Hundert Jahre“. Die Arbeit des Turnerpreisträgers besteht aus einem weißen Kubus mit schlüpfenden Fliegen, die sich von Nährflüssigkeit ernähren können, bis sie in einem zweiten Kasten, von einer Elektrofalle angelockt, verenden. Dabei mußte eine Aufsicht den Strom stets kurz für das Publikum einschalten, weil durch ununterbrochenen Betrieb nicht genug Fliegen nachwachsen konnten, um die bereits Verkohlten zu ersetzen.
Auch in der Amsterdamer De- Appel-Fondation interessiert man sich für Aktivitäten „im Bereich obskurer Biotechnologie“. Das Künstlerduo Art Orienté Objés etwa wurde ausgewählt, weil es „mit den ökologischen Befürchtungen der Menschheit in einer Weise handelt, die nicht notwendig den Regeln der political correctness folgt“. „Frei von moralischem Überlegenheitsgehabe“ gibt man sich auch im Bonner Kunstverein, denn „das Ziel ist nicht ein wie immer geartetes Ergebnis, sondern eine Grundlagenforschung als kreatives Spiel mit allen Möglichkeiten des ganzheitlichen Denkens und zugleich ein lustvolles Infizieren der Denksysteme mit den Viren nomadisierender Spieler“. New-Age-Ideologien, Abwerten der Technologiekritik als schiere Angstprojektionen, Fetischisierung des spielerisch Kreativen oder ein sich als oberschlau postilierender Anti-p.c.-Gestus verschleiern, wie sehr dieser Kunstbetrieb den biotechnologischen Apparat hofiert.
Ein Kinderfreund mit Kinderfallen
Ein wohliges Streicher-Loop füllt den Kölnischen Kunstverein, in dessen Dämmerlicht einzelne Stationen von Höllers „Glücks“-Parcours hervorleuchten. Die kaufhausartige Musik kommt vom Videoband „Anna Super 8“, auf dem ein Mann mit einem Kind tollt. Sie stammt jedoch aus Godards „Le Mépris“ (Die Verachtung), wo die Protagonisten zu den Klängen miteinander streiten.
Vor drei Jahren arbeitete der 1961 geborene Höller in seiner Installation „Killing Children I and II“ mit diversen Kinderfallen, Quallen und vergifteten Bonbons. Auch die Gestaltung der Kölner Einladungskarte erinnert an tödliche Fliegenpilze, die an Silvester Glück bringen sollen: „Glück“ ist hier eine Sache der Perspektive, geschieden in freudig Handelnde und vermeintlich Beglückte.
Neben dem Videomonitor steht ein amerikanischer Trinkwasserspender plus Pillen, die nach Traubenzucker schmecken. Man darf davon ausgehen, daß hier nur harmloses Zeug – „legale Drogen“ – offeriert wird. Nebenan hat Höller eine schwarz-gelbe Massage- Lounge aufgebaut. Allerdings verspannt man schnell, wenn der unnachgiebige Massagestößel den Rücken hinabfährt und die Probanden sich wie Bilderbuchhysteriker verkrampfen. Auch der simulierte Drachenflug von einer grobgezimmerten Plattform aus, bei der man wie ein nasser Sack in der Sicherheitsumgurtung hängt und langsam seine Runden dreht, läßt nicht gerade Glücksgefühle aufkommen. Das Eingangsschild „Betreten der Ausstellung auf eigene Gefahr“ möchte den Extremsportarten-Thrill etwas anstacheln und wird von der Versicherung wohl auch verlangt.
„Seine Gäste glücklich zu machen, das ist Höllers vorrangiges Ziel“, vermeldet der Pressetext. „Glück“, das bedeutet hier vor allem echte körperliche Erfahrung statt trockener Infos. Doch der dirigistische Zug der waldlehrpfadhaften Installationen holt das Versprechen von Handlungsspielraum und Fun bald wieder ein. Wie beim Fantasialand wird die Publikumswirksamkeit der Erlebnisstrecke – Kinder und Jugendliche sind sogar ausdrücklich erwünscht! – explizit zum Thema gemacht. Das Ge
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samtarrangement wiederum verspricht bereits fotografische Plazierung in Kunstzeitschriften.
Jeder seines Glückes Schmied: Höllers „operative Kunst“ läßt Werke zu Selbsterfahrungsinstrumenten werden. Im Sinne der Konsumindustrie sollen individuelle Bedürfnisse mit neuen Produkten geweckt und durch Erwerb befriedigt werden. Dies deckt sich mit aktuellen Deregulierungsstrategien der Biotech-Firmen, die ihre Durchsetzung durch Artikel wie „Nouvel Food“ (immerfrische Tomaten), Diabetesmedikamente oder „Familienplanung“ (Eugenik) sucht.
Stets wird hervorgehoben, daß Carsten Höller gelernter Biologe und autodidaktischer Künstler ist. Eigenartigerweise gilt dies schon als Ausweis für Höherqualifizierung. „Beiden Arbeitsweisen liegt die Vorstellung der neueren Evolutionstheorien zugrunde, daß Phänomene der Liebe und des Glücks nicht kulturell bedingt sind, sondern als adaptive Maßnahmen zur Steigerung des eigenen reproduktiven Erfolgs zu erklären sind.“ Unkommentiert finden sich diese sozialdarwinistischen Sprüche im Kölner Pressetext zu „Glück“. Der Glaube an diese neueren Evolutionstheorien paßt hervorragend zum Fight um Toppositionen im Kunstbetrieb. Beziehungen und „adaptive Maßnahmen“, also Anpassung, sind in der zweiten Kohl- Dekade das Geheimnis des Erfolgs. Stolz lassen derweil Höller und Rosemarie Trockel die Stempel vom Deutschen Museum Bonn, der Kernforschungsanlage Jülich und Burdas Akademie zum dritten Jahrtausend auf die gemeinsame Katalogseite zu „Manifesta I“ drucken.
Im Amsterdam arrangierten Carsten Höller („Recherche“) und Matt Mullican („Architektur-Ratschläge“) eine große Tafel, die nun gegenüber von Thomas Grünfelds possierlich ausgestopften Zwitterwesen, Hasenhennen oder Dachsschnablern und Jagdtrophäen angebracht ist. Auf ihr liegt eine Loseblattsammlung aus, die mit Abbildungen und Preislisten diverse Sorten an JAX-Mäusen offeriert. Die Firma „The Jackson Laboratory“ aus Bar Harbour handelt mit transgenen Mäusen, die industriell hergestellt und für Tierversuche angeboten werden. An einer Pinnwand spicken themenbezogene Zeitschriftenartikel, im ganzen Haus verteilt finden sich weitgehend unkommentierte Farbaufnahmen von Fliegen mit 14 zusätzlichen Augen; von einer Maus, der wie bei Hieronymus Bosch ein menschliches Ohr aus dem Rücken wächst; oder von gemischt-farbigen Zwillingen, bei deren In-vitro- Befruchtung offenbar geschlampt wurde.
Die Ausstellung „Hybrids“ konfrontiert die Bastarde aus sowohl kultureller wie bioindustrieller Produktion, indem ihre Erscheinungsformen nebeneinandergestellt werden. Ohne fokussierende Texte läßt dies unterschiedlichste Lektüremöglichkeiten zu. Eine besonders absurde ist die Kunstkritik, die der Pressetext anbietet: „Wie kann ein Künstler einfach mit Malerei oder Bildmanipulation weitermachen, wenn eine Maus mit menschlichem Ohr sich durch ihre schiere Existenz jenseits jeglicher Vorstellungskraft aushält?“ Ist alles nur eine Frage der künstlerischen Medien?
„Einige Künstler haben sich entschieden, aktive Zeugen dieses Prozesses zu sein“, berichtet der Pressetext weiter und führt das Züchten weißer Spatzen an: „Indem er das genetische Ergebnis direkt beeinflußt, verschmilzt Höllers Kunstproduktion mit seiner wissenschaftlichen Neugier und kreiert wirkliche Bastards ... Wie sonst können wir unsere Konzepte der Menschheit und der natürlichen Welt ermessen und austesten, wenn nicht durch das Vorantreiben unserer Forschungstätigkeit bis ins Extrem.“ So erhält die Ambivalenz der Gestaltung künstlicher Produkte selbst im Fall Höllers noch eine begleitende Eindeutigkeit.
Auch im Bonner Kunstverein wird die künstlerische Produktion mit der vorgeblichen Authentizität des Wissenschaftlers verknüpft. Neben Höller findet sich mit Jochen Lemper ein weiterer Biologe unter den 16 geladenen KünstlerInnen; und von Mark Dion ist eine „wilde“ Forschungsarbeit inmitten eines Kunstraums in Rio de Janeiro dokumentiert. Während des UN-Umweltgipfels 1992 brachte er „einen Quadratmeter Dschungel“ in die Ausstellung, examinierte die Flora und Fauna unter den Blicken der BesucherInnen und präparierte dann wirbellose Lebewesen für die anschließende Zurschaustellung. Nun halten Bildertafeln vom Regenwaldboden, Texte und Arbeitsfotos am Labortisch die Aktion des intensiv eingearbeiteten Künstler-Forschers fest.
Laut Bundesgesetz werden Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre garantiert. Für seine in Amsterdam ausgestellte Zeitung Daily Planet setzt sich Dion als Künstler, Sammler und Wissenschaftler zugleich in Szene. Als semiprofessioneller Erkunder, eigeninitiativer Naturkundelehrer und „mad scientist“ kritisiert er mit seinen befremdlichen Wunderkammern auf Tischen und Regalen die vorherrschenden Wissenschaftsvorstellungen und Darstellungspraktiken. Generalist wie Höller, ist Erkenntnis für Dion jedoch stets auch soziale Produktion, die dem biotechnologischen Essentialismus kontert.
„Berechenbarkeit der Welt“, bis 21. Juli, Bonner Kunstverein;
„Glück“, bis 21. Juli im Kölnischen Kunstverein;
„Manifesta I“, bis 19. August in Rotterdam;
„Hybrids“, bis 18. August, De Appel Foundation in Amsterdam
Jochen Becker ist Mitherausgeber von „Geld, Beat, Synthetik – Abwerten bio/technologischer Annahmen“, das jetzt in der Edition ID-Archiv erschienen ist.
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