: Elend türkischer Knäste – fern und doch nebenan
■ Ein Türkin in Hamburg erzählt über den Hungerstreik in Ankaras Gefängnissen
Ihr Mann schwebt in Lebensgefahr. Das weiß Migrantin Elif Özbolat seit einigen Tagen von ihrer Schwägerin. Die ist in die Türkei gereist, um sich auf ihre Examensarbeit vorzubereiten, und durfte ihren Bruder im Gefängnis Cankiri bei Ankara besuchen – so erzählt Elif Özbolat. Erst mußte sie allerdings einen Tag Untersuchungshaft über sich ergehen lassen. „Erol war blind und konnte kaum noch stehen“, erfuhr Elif Özbolat später per Telefon. In Sorge um ihren 32jährigen Mann hat sie sich nun an die Öffentlichkeit gewandt.
Von der deutschen Presse kaum beachtet, befinden sich seit 55 Tagen rund 2500 türkische und kurdische Gefangene im Hungerstreik, auch Erol Özbolat hungert. Der bei manchen nun schon lebensbedrohlich werdende Protest richtet sich gegen Mißhandlungen, Morde und Folter durch die die türkische Polizei. Konkret heißt das: Ärztliche Versorgung für alle Gefangenen, das Unterlassen außergerichtlicher Exekutionen und der Verzicht auf Repressionen gegen Angehörige. Gefordert wird zudem die in Demokratien selbstverständliche Garantie, sich vor Gericht verteidigen zu können.
„Vor sechs Jahren ist mein Mann ins Gefängnis gekommen für einen Mord, den er nicht begangen hat“, erzählt Elif Özbolat ihre Geschichte, die Berichten von amnesty international zufolge keine Ausnahme darstellt. Ihr Mann studierte Tiermedizin, war kurz vor der letzten Prüfung und war aktiv für die Dev-Sol. „Weil nach dem Mord an General Hulisi Sayin ein Erschießungsbefehl gegen meinen Mann erlassen wurde, hat er sich freiwillig gestellt, denn er glaubte, seine Unschuld beweisen zu können.“ Aber das hat Erol Özbolat nichts genutzt. „Insgesamt zehn Menschen sind in der Türkei wegen dem Mord an General Sayin inhaftiert“, hat Elif Özbolat gehört.
Für sie und ihre beiden Kinder begannen mit der Inhaftierung ihres Mannes die Repressalien. „Sie sind häufig gekommen, auch nachts“, erinnert sich der 12jährige Metin mit Tränen in den Augen. „Einmal habe ich draußen gespielt, da haben sie meine Mutter geholt. Als ich hingelaufen bin, haben sie mit dem Gewehr auf mich gezielt.“
Elif Özbolat hat dieses Leben in Ankara nicht mehr ausgehalten und ist mit ihren beiden Kindern nach Hamburg geflüchtet, wo sie als Flüchtling anerkannt wurde. Ihr Schwiegervater lebt schon seit 28 Jahren in Hamburg, und verdiente als Gleisbauer bei der Strom- und Hafenbau das Geld, das er seinen Kindern in die Türkei schickte. Einer seiner Söhne wird seit der Entlassung aus dem Gefängnis vermißt. Der zweite, Elifs Schwager Hassan, flüchtete nach fünf Jahren in türkischer Untersuchungshaft nun auch nach Hamburg, „obwohl ich nach der Haftentlassung in der Türkei bleiben wollte“, erzählt Hassan. „Aber die Polizisten haben mir gedroht, wenn ich nicht verschwinde.“ Die Folter hatte der 30jährige schon kennengelernt. Sein rechter Arm ist heute lahm, Hassan nicht arbeitsfähig. „Von einem Schulterbruch“, erzählt er. „Ich wurde, die Arme nach hinten, an den Handgelenken aufgehängt.“
Elif macht jetzt eine Umschulung zur Industrie-Elektronikerin. Aber der Kummer der 36jährigen bleibt. Die Türkei ist ein schönes Land, doch kritische Türken und Kurden können in dem Land nicht leben. Sie müssen mit Einschüchterungen, Repressalien und Verhaftungen rechnen. Nach Kenntnis von amnesty international kamen allein 1995 mehr als 2000 Menschen um, mindestens 35 Personen „verschwanden“, unter ihnen Oppositionspolitiker und Journalisten.
Der neue türkische Justizminister Sevket Kazan hat nun eingelenkt und öffentlich versprochen, die Haftverschärfungserlasse seines Vorgängers, des Hardliners Mehmet Agar, zurückzunehmen. Aber die Hungerstreikenden glauben ihm nicht, solange sie das nicht schriftlich haben. Die Forderung nach der Aufhebung des sogenannten „Sarg-Erlasses“ blieb bislang unberührt: Politischen Gefangenen sollen in das seit Jahren leerstehende Eske-Sheir-Gefängnis verlegt werden, in dem es nur Einzelzellen gibt. Zu befürchten steht Isolationsfolter in fensterlosen Räumen mit so niedrigen Decken, daß man sich nicht aufrichten kann. M. Jansen
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