: Für den geschützten Verkehr
Vertrauliches Papier: Wirtschaftsbehörde lehnt Hamburgs Beitritt zur Umwelt-Charta ab aus Angst vor Öko-Diktatur „wie in der DDR“ ■ Von Heike Haarhoff
Hamburg muß vor der Umwelt geschützt werden. Im Interesse der Hamburger Wirtschaft und im Namen des Senators für selbige erging deshalb am 9. Juli folgender Grundsatzbeschluß: „Die Wirtschaftsbehörde kann den Beitritt Hamburgs zur (Umwelt-)Charta von Valencia nicht zustimmen.“ „Nachrichtlich“ wurde diese Stellungnahme des „Stabsbereich Wirtschafts- und Strukturpolitik“ der taz sowie der Senatskanzlei und den Behörden für Umwelt, Stadtentwicklung, Bauen, Finanzen, Schule und Justiz zugeleitet, wo sie auf allgemeines Befremden stößt.
Die „Charta von Valencia“ aus dem Jahr 1995, der Hamburg nach dem Willen der Umweltbehörde in diesem Herbst beitreten soll, ist ein ähnlich allgemein-unverbindliches Umweltschutz-Abkommen wie die jüngst verabschiedeten Umwelt-Beschlüsse der lokalen Agenda 21. Nach deren Vorbild ließen sich im vergangenen November die Umweltminister der europäischen Regionen im spanischen Valencia zu einer weiteren Reihe schwammiger „Selbstverpflichtungen für die Verwaltung“ hinreißen.
Die aber sorgen in der Wirtschaftsbehörde für Heulen und Zähneklappern. Denn in der Charta wird – selbstverständlich ohne konkrete Zeitvorgabe – die zarte Forderung nach Verkehrsverringerung erhoben. Und das, zetert die Wirtschaftsbehörde, „obwohl eine umweltverträgliche Gestaltung des Verkehrs im Vordergrund stehen muß“.
Weshalb weniger Verkehr un-ökologisch sein soll, ist wiederum Umweltbehörden-Sprecherin Ina Heidemann „nicht ersichtlich“. Der Wirtschaftsbehörde schon: Alle Bestimmungen, die Investoren abschrecken, verkehrspolitisches Umdenken oder betriebliche Umweltschutz-Auflagen verordnen könnten, lehnt sie kategorisch ab: „Die Wirtschaftsbehörde ist nicht bereit, sich wesentliche Bestimmungsfaktoren für ihre Wirtschaftspolitik diktieren zu lassen“, heißt es in dem Schreiben. „Da wird gnadenlos Wirtschaftspolitik im Stil der 50er Jahre betrieben“, schütteln selbst behördliche Kollegen mit dem Kopf.
So lehnt man am Alten Steinweg auch die geforderten „Maßnahmen normativer Art“ ab, „die notwendige Verlagerung von der Straße auf die Schiene zu veranlassen“. Statt wirkungsvoller Gesetze sollten lieber „marktwirtschaftliche Instrumente“ eingesetzt werden, „die Akzeptanz notwendiger Veränderung zu erhöhen“. Daß Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus sich aber für Benzin-Literpreise von 4,50 Mark stark machen oder Bahnpreise subventionieren wird, gilt als ausgeschlossen.
Selbst der Pressestelle ist das eigene Papier offensichtlich peinlich: „Es handelt sich um einen Brief auf Referentenebene, der nicht die Meinung der Behördenleitung wiedergeben muß“, sagt Sprecher Wolfgang Becker. Andererseits, wirbt er um Verständnis, könne man doch nicht „so pauschal per Gesetz“ und „wie in der ehemaligen DDR“ anordnen, daß „zum Beispiel Braunkohle nur per Schiene transportiert werden darf“.
Das hat nach Informationen der taz aber niemand vor.
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