Wenn es flüstert im Haus

Psychedelik in Treptow, Traum und Rausch! Die Ausstellung „Panoptik“ in einer Ufervilla am Kanal zeigt Arbeiten von elf Malern und Fotografen aus der konzeptuellen Szene  ■ Von Katrin Bettina Müller

Baumwipfel rauschen, Frösche quaken, Schiffe tuten, Züge donnern über die Spree. Eine Villa am Ufer, die Mauern schwarz verrußt. Aus dem Schornstein daneben, kanneliert wie eine griechische Säule, kommt schon lange kein Rauch mehr. Längst ausgezogen ist der Club der Lehrlinge, der in der DDR zuletzt die ehemalige Fabrikantenvilla nutzte. Seitdem blättert innen zwischen aufgeklebten Starfotos und Kalenderfotos die Farbe von den Wänden. Der Maler Rolf Eisenburg, der das leerstehende Haus im Sanierungsgebiet Rummelsburger Bucht zufällig entdeckt hat, zeigt aus dem Fenster auf die „Treptowtowers“, die am anderen Ufer hochgezogen werden: „Das ist wie der Turmbau zu Babel im Hintergrund mittelalterlicher Bilder.“ Vor diesem gigantischen Aufbruch in die Zeit der Hochglanzfassaden duckt sich die Villa tief in den Ufersand.

Wo die Wirklichkeit selbst aus dem Zeittakt gekommen ist, wird auch die Einheit des Raumes brüchig. Diesen Taumel der Konstanten der Wahrnehmung macht sich das Unternehmen „Panoptik“ zunutze.

In den Bildern der Maler und Fotografen spiegeln sich Wände, Türen und Fenster. In jeder Fläche öffnet sich irgendwo ein Spalt zu einer anderen Welt. In Nanae Suzukis Dachlandschaften hängen die Häuser wie umgedrehte Schachteln unter den roten Dächern. Bei Christine Krämer verknäulen sich Fragmente tierhafter Körper zu undurchdringlichen Mauern. Mit unbeseelten Puppenköpfen starren die Frauen von Karo Suerkemper aus der Leinwand. Lebendige Blicke verfolgen uns dagegen aus Bildern Eisenburgs, denn aus den rhythmisch- konstruktiv verschränkten Flächen steigen plötzlich Augen an die Oberfläche. Münder brechen in einem Bild von Reinhard Schmidt in stacheligen Kakteen auf. Rausch und Traum scheinen nicht fern.

Das klingt nach Psychedelik und Surrealismus, jahrelang tief im Schrank vieler Kunststudenten versenkt. Denn die elf Künstler, die Eisenburg unter seinen Freunden ausgesucht hat, gehören meist einer konzeptuellen Szene an, in der das Magische und Irrationale eher verfemt ist. Ihre Bildfindungen beruhen weniger auf der Suche nach dem Unbewußten als auf der Befragung der Wahrnehmung. Die Geschichte der Bilder beginnt für sie nicht erst mit der Kunst als Reaktion auf die Wirklichkeit; das Reale selbst erscheint vielmehr als ein aus Bildern synthetisiertes Konstrukt. So ist die Überlagerung von Zeichen, die sich bei Ricarda Fischer etwa zu kaum entwirrbaren Liniengespinsten verknäulen, Ergebnis eines kulturellen Bewußtseins, das nur das Bildgewordene abspeichern kann.

Erst der Zusammenklang der Bilder und des Ortes sensibilisiert für ihre halluzinatorischen Züge. Zum Beispiel die Fotografie eines Fensters, die Veronika Kellndorfer auf eine Glasplatte drucken ließ: Sie interessierte die Staffelung der Ebenen, von Gitter, Fenster, Vorhang und Schatten. Das gläserne Bild selbst wird zum Fenster und Spiegel der gegenüberhängenden Tunnelfotografien von Karl-Heinz Eckert, in denen ein weiches, bewegtes Licht die dingliche Welt erst allmählich zu erkennen gibt. Für Eisenburg verdichten sich Gemaltes, die Spuren früherer Nutzung und die Blicke aus den Fenstern zu einem phantastischen Film. Die Bilder sind zu Bewohnern geworden, die ständig andere Geschichten erfinden. Unkenntlich wird dabei der intentionale Kontext, aus dem heraus die Künstler gearbeitet haben: An seine Stelle rückt das Geflüster zwischen den Bildern.

Tatsächlich flüstert es im Haus. Es klingelt im Treppenhaus, Innen- und Außenwelten wechseln in dem Soundtrack von Thomas Schulz, der unter dem Dach zu einer dichten Symphonie anschwillt. Baumwipfel rauschen, Frösche quaken, Schiffe tuten, Züge donnern über die Spree.

Panoptik, Alt-Stralau 4 in Berlin Treptow, bis 27. Juli,

Fr.–So.15–20 Uhr