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Scharfer Blick für Durchgangsorte

■ Eine Kabinettausstellung über den sanften Konstruktivismus der Elena Liessner

Brüche und Verschiebungen kennzeichnen in vielfacher Hinsicht die frühen Zwanziger Jahre. Einen kleinen Blick auf diese Zeit bietet die Kabinettausstellung Ankunft in Berlin mit Zeichnungen der russischen Emigrantin Elena Liessner in der Kunsthalle. In vierzig Städtebildern und Collagen, Kostümentwürfen und Figurinen wird der dynamische kulturelle Austausch zwischen Ost und West ahnbar, den die Hauptstadt jetzt so gerne wiederbeleben möchte.

Die zwanzigjährige Elena Liessner wird nach der Oktoberrevolution technische Zeichnerin in Moskau. Drei Jahre später beginnt sie ein Kunststudium. Doch schon 1921 emigriert die Tochter eines Balten und einer Russin über Prag ins damals kulturell brodelnde Berlin. Die dortige Emigrantenszene bot der jungen Künstlerin einen Anlaufpunkt, sie stellte schon bald zusammen mit Ivan Puni aus, Kandinsky kam aus der Galerie „Der Sturm“ herüber und durch die Gestaltung des Bühnenvorhangs für das Kabarett Der blaue Vogel wurde sie sogar relativ berühmt. Die Vorzeichnung dazu ist erhalten und in der Ausstellung zu sehen.

Als Emigrantin hat Elena Liessner einen Blick für Durchgangsorte: Sie zeichnet Bahnhöfe, Treppenhäuser und die Straße, collagiert Brieflaufzettel und Zollaufkleber. Ihre Tanzfigurinen erinnern an die suprematistischen Bühnenfiguren von Malewitschs Oper Sieg über die Sonne, die sie noch in Moskau kennengelernt hatte. Eine persönliche Variante ihres sanften Konstruktivismus sind die zarten Schraffuren und beiläufigen Ornamente die sie den kubofuturistischen Brechungen und Kanten hinzufügt. Die Ausstellung beschränkt sich auf die Arbeiten dieser wenigen und frühen Jahre in Berlin.

Dieser Stadt hielt Elena Liessner auch im weiteren Leben die Treue. 1923 heiratete sie den Innenarchitekten Albrecht Blomberg, seit 1943 bei München lebend, entschied sie sich 1951 für die DDR, lebte als Künstlerin in Ostberlin und starb dort 1978.

Hajo Schiff

Saal der Meisterzeichnung, Hamburger Kunsthalle, bis 20. Oktober

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