piwik no script img

Kleinkind soll ausreisen, um einzureisen

■ Kreis Harburg droht zweijährigem Libanesen mit Abschiebung, angeblich widerwillig

Ali B. ist zwei Jahre alt, wurde im Libanon geboren und lebt in Winsen an der schönen Luhe. Und hat in seinem kurzen Leben schon drei Ausreiseverfügungen erhalten, Abschiebungsandrohung inklusive. Die Landkreisverwaltung Harburg mit Sitz in Winsen erklärt jedoch, daß dies nicht ganz so dramatisch sei, wie es vielleicht klingt. „Wir möchten das Kind gar nicht abschieben“, so Behördensprecherin Dörte Gallowski.

Aber man ist ja beim Amt, und da muß alles seine ausländerrechtliche Ordnung haben. Und nach behördlicher Auffassung hält sich das Kind, dessen Mutter bei seiner Geburt starb, illegal in Deutschland auf. Alis 74 Jahre alter Vater hatte aus gesundheitlichen Gründen Anfang 1995 das Sorgerecht für das Kind auf seinen erwachsenen Sohn Ahmad übertragen, der seit langem mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung in Winsen lebt. Der ließ das Kind im Libanon in seinen Paß eintragen; ungehindert reisten sie ins Bundesgebiet ein. Da das Kind nach Auffassung des Amtes dabei jedoch kein eigenes Visum besaß, wurde sein Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt. Deutschland sei kein Einwanderungsland, belehrte der Landkreis schriftlich.

Die Belange des Landes seien beeinträchtigt, wenn ein Ausländer hier einwandern will. Und eine Rückkehr ins Herkunftsland wäre für Ali keine größere Härte als für viele seiner Landsleute auch. Eine „exzeptionelle Sondersituation“ sei nicht zu erkennen; unerheblich sei die auf den Bruder übertragene Personensorge. Auch ein Antrag auf Duldung wurde abgelehnt.

„Uns liegt daran, den Aufenthalt des Kindes in Deutschland zu legalisieren“, sagt Gallowski. Eine freiwillige Ausreise des Kindes – nebst Begleitperson – in den Libanon sei dafür unabdingbar. Dort könne ein Visum beantragt werden. Und dagegen würde die Behörde keine Einwände erheben; vorliegen müßten die Sterbeurkunde der Mutter, eine Bescheinigung über die Erkrankung des Vaters und die Bestätigung, daß der ältere Sohn nun das alleinige Sorgerecht besitzt. Über diese einzige Möglichkeit, alles in rechte Ordnung zu bringen, habe man den Bruder auch im persönlichen Gespräch Ende April informiert. Er habe aber nicht reagiert, wundert sich die Sprecherin.

Deswegen habe der Landkreis Ahmad B. jetzt erneut angeschrieben, um die Abschiebung zu verhindern und die damit einhergehende Unmöglichkeit, in absehbarer Zeit ein Visum für Deutschland zu erhalten. „Nachdem Ihr Bruder nicht ausgereist ist“, heißt es in dem Schreiben, „beabsichtige ich, aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.“ Bis zum 30. Oktober könne Ahmad B. bezüglich der freiwilligen Ausreise des Bruders vorsprechen, um die Abschiebung zu vermeiden. Stefanie Winter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen