: Mein Po gehört mir!
Wellness-Kur und Mikrostoff-Ernährung: Nach der Weihnachtsschlemmerei traktieren uns die Illustrierten wieder mit Diät-Rezepten ■ Von Kaja Kutter
Mein einjähriger Sohn Theo macht es richtig. Wenn er satt ist, wischt er die ihm angebotenen Gemüse- und Kartoffelstückchen einfach auf den Boden. Inzwischen haben wir neben sein Stühlchen einen Eimer gestellt, in den er meistens trifft. Gute Kinderärzte warnen davor, den Nachwuchs zum Aufessen zu zwingen. Denn die Kleinen wissen selbst genau, wieviel Nahrung ihnen guttut. Gutmeinende Großmütter müssen den gezückten Breilöffel steckenlassen. Das Kind in alter Sitte unter den Arm zu klemmen und zwangszufüttern ist nicht mehr üblich.
Wir Großen müssen von den Kleinen erst noch lernen. Hilflos haben wir die Kalorienflut der Festtage über uns ergehen lassen. Wissen manchmal nicht, ob es wirklich von Herzen kommt oder einfach nur boshaft ist, wenn Schwesterchen am Heiligabend eine Riesendose selbstgebackener Vanillekipferl und Zimtsterne kredenzt.
Dann, in den ersten Januartagen, präsentieren uns die Illustrierten die Quittung. Eindeutige Botschaft: Du kannst nicht bleiben, wie du bist. Denn erstens siehst du nicht so aus wie das schlanke Modell oder der blonde Fernsehstar auf der Nebenseite. Und zweitens: Schau schleunigst auf Seite 36, 87 oder 49 nach, nimm den „Schlankplan '97“ heraus und verändere dein Leben. Oder führe die leichte „Wellness-Küche“ bei dir ein. Dafür brauchst du zwar einen neuen Römertopf, eine Anti-Haft-Pfanne oder einen Gartopf mit Siebeinsatz, aber die zu besorgen ist doch sicher keine Hürde. Schließlich haben die Kaufhäuser ihre Haushaltswaren-Offensive.
Für Sie legt uns Diät-Rezepte zum Sammeln ans Herz. Lecker, aber die Zubereitung dauert ein bis zwei Stunden. Funk Uhr meint, wir sollten es morgens, mittags und abends mit Walnuß-Gerichten probieren. Vital rät 30- bis 40jährigen zur „Mikrostoff-Diät“. Ein Frühstück: zwei Scheiben Knäckebrot, ein Löffel Margarine, eine Scheibe Pute und 30 Gramm Käse. Das ist ausgewogener als die „Schlankmacher“, die Bild der Frau offeriert. Nur Grünzeug und Obst, da kriegt frau vom Hingucken schon Sodbrennen. Und eine Seite später Reklame für Appetithemmer aus der Apotheke. „Inulin“, so verspricht der Text, vernichtet gezielt das Fett an Bauch, Po und Schenkeln.
Fazit nach der Durchsicht von sechs Publikationen: viel Zweifelhaftes, viel Arbeit und wenig Lust. Lediglich die Fernseh-Woche sagt zum Thema Diäten, was seriöserweise gesagt werden muß: daß nämlich 70 Prozent aller Schlankheitskuren am „Jo-Jo-Effekt“ scheitern. Denn unser Körper ist so programmiert, daß er nach einer Hungerkur abgebaute Fett-Depots in wenigen Wochen wieder aufbaut. Lösung der TV-Zeitschrift: auf die Psyche setzen, Unterbewußtsein beschwören, positiv denken, telefonieren statt naschen, sich Glücksgefühle durch Sport verschaffen und zur Abschreckung ein Selbstporträt aus dickeren Zeiten an die Kühlschranktür heften. Und, ganz wichtig: höchstens einmal in der Woche auf die Waage.
Ich selbst halte es mit der feministischen Therapeutin Susie Orbach, die bereits Anfang der 80er in ihrem „Anti-Diätbuch“ allen Frauen riet, die Waage ganz aus ihrem Leben zu verbannen. Sie ist nämlich gänzlich ungeeignet dafür, uns zu gutem Körpergefühl und Selbstbewußtsein zu verhelfen und hat den Status als oberste Richterin über unser Wohlbefinden nicht verdient.
Natürlich merke ich trotzdem, wann ich zuviel ungenutzte Energie um meine Hüften sammle, wann die Hosen spannen und selbst die Stretch-Mode keine Gnade mehr kennt. Aber schließlich habe ich eines nach 20 Jahren Frauenbewegung nicht vergessen: Nicht nur mein Bauch, auch mein Po gehört mir! Und niemand außer mir hat über meine Formen zu bestimmen.
Schade nur, daß meine Turnlehrerin das anders sieht. „Pooo feeest, Bauch hoooch“, hallt es allwöchentlich durch den Sportraum. „Manche von euch haben's nötig.“ Unterstrichen wird dieser Vorwurf von unplanen Spiegelwänden, die alle Körper optisch noch mehr in die Breite ziehen.
Ob ich vielleicht mal wieder eine Diät ... Quatschkram. Sohn Theo weiß die bessere Lösung. Wenn er aufgegessen hat, klettert er aus dem Stühlchen und nimmt mich an die Hand, in sein Zimmer spielen gehen. Egal, ob Mama aufgegessen hat oder nicht.
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