: Matschkönig ohne Burg
■ Das Hamburger Theater Triebwerk zeigt auf Kampnagel „Heinrich der Fünfte“für Kinder ab acht Jahren
„Früher war es ganz anders mit Heinrich, aber seit er König Heinrich der Fünfte ist, benimmt er sich wie ein braver Junge. Er tut viel für sein Land und geht jeden Tag in die Kirche.“So jedenfalls behauptet es der Erzähler. Aber er schwindelt, wie es die Geschichtsschreibung ja gerne mal tut: Die Geschehnisse werden am liebsten so dargestellt, als hätte alles stets seine Ordnung gehabt. So auch in der Königsfamilie. Der Fünfte, lernt das junge Theaterpublikum, ist zum Beispiel gar nicht Heinrichs Nachname, sondern seine Ordnungsnummer. Bei so vielen Königen in der Familie mußte nämlich irgendwann durchnummeriert werden.
Wie aber war die Sache mit Heinrich wirklich? Tatsache ist, daß er, bevor er König wurde, streitend mit anderen Kindern Torfburgen kaputt machte. Und daß er, als er dann König wurde, exakt das gleiche weiter tat, nur daß die folgenden Schlammschlachten globaler wurden. Genauer gesagt, kontinental. Denn Heinrich verläßt England, um sich die große Burg Frankreich samt Burgfräulein einzuverleiben. Der 37jährige Belgier Ignace Cornelissen hat seiner Bearbeitung von Shakespeares Königsdrama Heinrich V. den Untertitel „Eine Geschichte über das Kriegen“gegeben. Um den Doppelsinn des Wortes kreist das Spiel: Wenn einer zu viel kriegen will, gibt's Krieg. Eine typische, recht simple Kindertheaterbotschaft.
Das Hamburger Theater Triebwerk hat das Stück für Menschen ab acht Jahren ebenfalls einfach, aber nicht simplifizierend auf die Bühne gebracht. Den vier Schauspielern ist gemeinsam mit einem Cellisten eine ungeheuer dichte Aufführung gelungen, die im textlosen Spiel viele clowneske Elemente enthält, aber auch lange, ernste Passagen wagt und gewinnt. Den Sehgewohnheiten der Fernsehgeneration biedert sich weder der gelungene Bühnenraum von Zazie Knepper noch die Inszenierung von Franziska Steiof an. Das bringt die Kids, die bei der gestrigen Premiere sogar in der ersten Reihe Ferngläser dabei hatten, etwas aus der Puste. Als Heinrich nach 40 Minuten Spielzeit dem König von Frankreich droht: „Ich werde dir dein Land wegnehmen. Aber das bedeutet Krieg!“ruft denn ein Junge auch laut: „Na endlich!“
Trotz der kompletten Abwesenheit von Säbeln und Schwertern fesselt das Ensemble die Konzentration der meisten Kinder bis zum Ende der 70minütigen Aufführung. Mit Stimme, Musik und Licht werden immer wieder neue Situationen angedeutet, die die Kinder mit Lust in ihren Köpfen ausmalen. Die Abwesenheit von Gewalt scheint jedoch zu irritieren. Nicht grausam, sondern vor allem sinnlos ist Krieg beim Theater Triebwerk. Der Höhepunkt des Kampfes - die Könige drücken gegenseitig ihre Köpfe in den Dreck - reizt nur zum Lachen, obwohl die Burg natürlich hin ist. Dann sitzen die Staatsoberhäupter wieder um die Torfkiste und mantschen rum. „Jetzt können die von vorne anfangen“, sagt ein Mädchen. Und hat trotz schwindelndem Erzähler was über Geschichtsschreibung gelernt. Christiane Kühl
Kampnagel k2, bis 16. März
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