: Afro und Fasson-Scheitel links
■ Geschichte der Haarpracht: Ausstellung der Friseur-Innung
Schön waren die Frauen in den Sechziger Jahren. „Duftig und seidig glänzend“lag ihnen der „Schmetterling“im Nacken - die frühkindlichen Geliebten unserer heutigen Mittdreißiger waren Schwarzkopf-Produkte. Dann kam der Afro und mit ihm Paul Breitner. Der befreite die Söhne aus den Armen der Mütter und vom Kurzfasson-Scheitel-Links. Daß hier neben der Libido noch andere Kräfte im Spiel waren, davon erzählt die Ausstellung „1872 - 1997. Das Friseurhandwerk in der Geschichte“, die seit gestern in der Sparkasse am Brill zu bewundern ist.
Nicht selten waren es die technische Innovationen, die der Augenlust ihr Futter gaben. Die friseurtechnische Revolution des 20. Jahrhunderts schrieb der Lockenwickler. An ihm entlang schreibt sich die Geschichte eines Handwerks und seiner Versuche, den Anschluß an den großen Bruder, den Couturier, nicht zu verpassen. Vom „Papillotieren“in den Zwanzigern über den Cori-Schnellwickler bis zum Pari-Wod, dem Afro-Wickler „with the brand new locking device“, stolpert das Handwerk mit den Moden und mentalen Revolutionen dieses Jahrhunderts mit und hat, so scheints, doch nur eins erfunden: die Locke.
Nun will die Ausstellung in den Vitrinen rund um den Kontoauszugsdrucker der Sparkasse natürlich keine Geschichten erzählen, sondern Exponate präsentieren. Vom Streichriemen nebst Pasta (1910) bis zur Heißwelle „Tempera“(1950) zeigt sie das Ensemble der Folterinstrumente im Top-Gewerbe. Perücken, Einseiftöpfe und... „Oh, Ilse, guck mal her - kein Wunder, daß die früher alle nur ein Ohr hatten“: Zwei ausrasierte Nacken mit Klapperlatschen beugen sich in wohligem Schauder über das „Patent Sicherheitsrasiermesser Triumph“von 1910.
Schönheit und Schauder liegen eng beieinander. Den Stoff für viele kleine Geschichten des Frisierens bietet die Ausstellung damit zur Genüge. Das liegt in der Natur der Sache. Nur Natur nämlich war, so zeigt ein Dokument von 1833, am Kopfschmuck höchstens seine Negativseite - der Haarausfall als Merkmal häßlicher Gesinnung: „Die Haare sollen dem Körper zur Zierde dienen, denn ein Kahlkopf war von jeher verächtlich, und daher lesen wir schon in der Bibel, daß die Kinder in der von Götzenverehrern bewohnten Stadt Bethel dem Götzenzerstörer Elias ein Kahlkopf schimpften“.
Die Ausstellung zeigt schöne Texte und gruselige Instrumente. Darüber hinaus zeigt sie vor allem eins: Das Friseur-Handwerk hat in seinen 125 Jahren, die es derzeit abfeiert, schon mal bessere Zeiten erlebt. Die Demokratisierung des Geschmacks hat derzeit die Krone des Menschen erreicht - vom ästhetischen Elitebewußtsein in Haardingen, das noch die Punk-Generation prägte, gibt es derzeit kaum noch Spuren. Hinter der imperialen Frisur Marie Antoinettes, mit der einst die „Grande Nation“den Sieg über Englands Flotte feierte, guckt man am Brill auf die Frisuren der Sparkasse-Kundenbetreuerinnen. Das ist im Vergleich recht nett und adrett. Und ziemlich langweilig. fk
Zu sehen bis 4. April in der Sparkassen-Halle am Brill.
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