: Selbstmord im Knast mit Ankündigung
■ Der 28jährige hatte Selbstmord angedroht und schon Stunden vorher versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden / Beamte schickten ihn in Sicherheitsverwahrung statt zum Psychologen
Als der Justizvollzugsbeamte am Freitag abend gegen 19.45 Uhr die schwere Eisentür der Sicherheitszelle im Keller der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen öffnete, kam für den 28jährigen Insassen jede Hilfe zu spät. Der Häftling hatte seinen gestreiften Schlafanzug zerrissen, die Streifen zusammengeknotet und sich an der geöffneten Essensklappe erhängt. Ein Selbstmord, der möglicherweise hätte verhindert werden können: Die Klappe hätte laut Vorschrift eigentlich geschlossen sein müssen. Warum sie trotzdem offenstand, ermittelt jetzt die Kripo. Außerdem gab es Hinweise darauf, daß der Häftling Selbstmordabsichten hatte: Gegen 14.30 war der 28jährige Mann auf der Krankenstation des Knastes behandelt worden. Er hatte einen Längschnitt am linken Unterarm. Mit einer Rasierklinge hatte er offenbar kurz zuvor versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Der Sanitätsbeamte brauchte allerdings weder Pflaster noch Verband – die Wunde hatte sich schon wieder geschlossen und war nicht besonders tief.
Anstatt den Knastpsychologen oder den sozialpsychiatrischen Dienst zu informieren, steckten die Beamten den Mann in Sicherheitsverwahrung – eine fensterlose Zelle im Keller des Knastes. Die Matraze auf dem Fußboden ist das einzige Mobiliar. Die karge Ausstattung soll verhindern, daß sich die Häftlinge etwas antun. Viereinhalb Stunden später war der Mann tot.
Hartmut Krieg, Abteilungsleiter für Strafvollzug beim Justizsenator, räumt erst nach der zweiten Anfrage ein, daß der Häftling sich wenige Stunden vor seinen Tod mit einer Rasierklinge selbst verletzt hat. „Keine Hinweise auf Suizid“, hatte er der taz noch am Montag versichert. „Es gab leichte Verletzungen am Handgelenk“, mußte Krieg gestern zugeben. Im nachhinein will er „nicht ausschließen“, daß das ein Hilferuf war. Auf die Frage, warum die Beamten nicht den Gefängnispsychologen zu Rate gezogen haben, weiß er eine einfache Antwort: „Der war Freitag nachmittag nicht mehr im Dienst.“Die Beamten hätten allerdings auch den sozialpsychiatrischen Dienst anrufen können. „Rückwirkend betrachtet sind das natürlich alles berechtigte Fragen“, sagt Krieg.
„Der hat immer wieder gesagt, daß er keinen Bock mehr hat und Schluß machen will“, erzählt ein Mithäftling. „Er hat das so oft gesagt, daß die Beamten ihn nicht mehr ernst genommen haben. Nur am Freitag war das anders. Der hat an sich rumgeschnibbelt.“Daß der drogenabhängige Häftling tatsächlich Probleme hatte, weiß auch Gefängnispsychologe Ingo Straube. Erst vor kurzem war der Heroinabhängige aus einem Substitutions-Programm geflogen, weil die Ärzte Rauschgift in seinem Urin nachgewiesen hatten. Vor drei Monaten habe er ihn zum letzten Mal gesehen, erzählt Straube.
Der Mann hatte noch zwei Reststrafen wegen Diebstahls zu verbüßen. Im Januar nächsten Jahres wäre er entlassen worden. Damals hätte es keine Hinweise auf Selbstmordgedanken gegeben, betont Straube. „Ich habe ihm gesagt, er soll sich bei mir melden, wenn er in Strafhaft ist.“Vor zwei Wochen hat sich der Häftling bei ihm gemeldet und einen Termin bekommen: für nächsten Montag.
Kerstin Schneider
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