piwik no script img

"Ich will liebend gern der Testfall sein"

■ Die unabhängige Hongkonger Tageszeitung "Dian Gou Daily" ("Verrückter Hund") verkauft sich erfolgreich mit Renntips - und politischer Kritik. Ihr Gründer Huang Yumin über das Konzept, chinesischen

Yang Lian: Warum haben Sie „Dian Gou Daily“ so kurz vor 1997 überhaupt noch gegründet?

Huang Yumin: Ich bin Kritiker und Kommentator. Meine Zeitung orientiert sich an den Interessen der Durchschnittsbürger von Hongkong und konfrontiert die politisch Verantwortlichen damit. Mit politisch Verantwortlichen meine ich sowohl die chinesische als auch die Hongkonger Regierung, aber auch andere politische und gesellschaftliche Gruppierungen. Unsere Betonung liegt dabei auf Unabhängigkeit, nicht Neutralität, weil die in unserer Situation überhaupt nichts nützt.

Kritisieren heißt für mich, etwas zu zerstören. Das Wiederaufbauen ist Sache derer, die kritisiert werden: der Regierung. Wir verstehen den Namen Dian Gou (Verrückter Hund) im Sinne eines Wachhundes für die Hongkonger Gesellschaft. Medien sind die Wachhunde der Gesellschaft; sie müssen die politisch Mächtigen und ihre Politik ständig im Auge behalten.

Hongkong ist eine Kommerzgesellschaft. Wie kann Ihre Zeitung da überleben?

In erster Linie sind wir ein regierungskritisches Organ, aber wir bringen auch jeden Tag Analysen und Tips für die Pferderennen. Damit sind wir für ein breites Publikum interessant, haben dadurch mehr Einfluß und mehr Überlebenschancen. Andere Zeitungen haben täglich 50 bis 60 Seiten, das heißt, sie sind auf ihre Anzeigenkunden angewiesen. Ich publiziere täglich vier Seiten (zwei Seiten Kommentare und zwei Seiten Pferderenntips) und kann das Blatt allein aus dem Verkauf finanzieren. Zur Zeit ist gerade Rennsaison, da verkaufen wir mehr als 10.000 Exemplare täglich. Solange keine anderen Faktoren ins Spiel kommen, sollte 1997 kein Problem für uns sein.

Mit „anderen Faktoren“ meinen Sie politische. Sind Sie Optimist?

Zur Zeit ziehen sich die Medien in Hongkong schon völlig freiwillig zurück und definieren damit selbst eine sehr niedrige politische Akzeptanzschwelle. Um Profit zu machen und ihr Überleben zu sichern, bereiten sie sich auf die Zeit nach der Rückgabe Hongkongs dadurch vor, daß sie mehr Wirtschaftsseiten bringen, immer weniger Kommentare zu gesellschaftlichen Problemen und so gut wie keine mehr zur Politik. Ich meine, daß man durch Stillstand nur Boden verliert. Deshalb gehe ich vorwärts und halte mich nicht an diese niedrige Akzeptanzschwelle. Wenn unsere Zeitung nach dem 1. Juli dichtgemacht werden soll, müssen vorher noch ein paar echt widerwärtige Gesetze verabschiedet werden. Und das hätte Folgen für die gesamte Meinungsfreiheit in Hongkong. Ich will liebend gern der Testfall sein. Wird Dian Gou zensiert, ist die ganze sogenannte Pressefreiheit nur leeres Geschwätz. Die zukünftige Regierung der „Hongkong Special Administration Region“ soll ihren Test haben: Wenn Dian Gou überleben kann, wissen wir, daß die Presse- und Meinungsfreiheit real sind.

Wenn „die da oben“ befürchten, daß sich die anderen Massenmedien hinter Sie stellen, werden sie Ihre Zeitung doch gewiß so schnell wie möglich verbieten wollen. Was tun Sie dann?

Ich glaube nicht, daß sich die Situation in Hongkong gleich in den ersten Jahren so dramatisch verschlechtert. Und diese Zeit werde ich nutzen, uns einen Freiraum zu verschaffen, in dem Dian Gou in einem Klima der freien Meinungsäußerung überleben und größtmöglichen Einfluß auf die öffentliche Meinung nehmen kann und unabhängiges Denken fördert.

Aber selbst wenn es schlimm kommt, was hätte es für einen Sinn, gleich klein beizugeben? Ich kann meinen Griffel fallen lassen, aber ich kann mich nicht verbiegen oder unterwerfen. Ich kann aufhören zu schreiben und den Mund halten, aber ich kann nicht gegen mein Gewissen schreiben oder sprechen.

50 Jahre lang war Hongkong politisches und ökonomisches Kraftwerk und ein Zentrum für kulturelle Information für China, Taiwan und ganz Südostasien. Kann es das nach 1997 bleiben?

Im Prinzip schon. Nehmen Sie zum Beispiel China. Dort wird gerade Wang Dan der Prozeß gemacht [Wang Dan wurde im Oktober 1996 zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Anm. d.Ü.], und doch hatte er ziemlich lange Kontakt zur Außenwelt. Das liegt natürlich an der heutigen globalen Informationstechnologie. Die Kommunistische Partei muß schon Hongkongs Marktwirtschaft abschaffen, wenn sie den Nachrichten- und Informationsfluß stoppen will. Auch in China selbst sind der Zugang zum Internet und Faxgeräte inzwischen weit verbreitet. Die Behörden können nicht ständig kontrollieren, was da alles geschickt und empfangen wird. Wenn ihnen Hongkongs wirtschaftliches Wohlergehen am Herzen liegt, müssen sie die Kommunikation der Stadt mit der Außenwelt schützen.

Das klingt sehr optimistisch. Aber liegt der Kommunistischen Partei Hongkongs Wirtschaft wirklich so am Herzen?

Es gibt noch immer einige Unterschiede zwischen Hongkong und dem Mutterland. Dort sind die Nachrichtenmedien noch immer fast alle in staatlicher Hand, während sie in Hongkong in der Regel Privatunternehmen sind. Ich bin nicht übertrieben optimistisch. Aber wir können doch nicht einfach dasitzen und warten. Wir müssen versuchen, etwas zu erreichen. Außerdem ist auch in China selbst einiges im Umbruch. Nicht einmal dort können „Stabilität und Einheit“ garantiert werden. Und was die niedrige Akzeptanzschwelle betrifft: Die Hongkonger sind ungeheuer pragmatisch und können jede noch so kleine Lücke nutzen.

Und wie definieren Sie das „chinesische Volk“?

Die beruht auf Geschichte und Kultur, einer Art moralischem Imperativ und einem kulturellen Bewußtsein. Der moralische Imperativ hat mit Blutsbanden zu tun. Als Chinese sollte man sich (selbst eine schlechte) chinesische Regierung wünschen, die kulturell auf den Unterschieden zur westlichen und anderen Kulturen basiert. Ich bin durchaus für Nationalismus. Aber nicht für den, wie ihn sich die Kommunistische Partei zurechtbastelt, um damit die Demokratie niederzuhalten, oder für die nationalistischen Parolen, die sie während des japanischen Widerstandskrieges gegen die Kuomintang und nach 1949 gegen Dissidenten wendeten. Die Kommunstische Partei ist nie „nationalistisch“ oder gar „internationalistisch“ gewesen, sondern immer nur rein totalitaristisch. Dieses Regime bereut überhaupt nichts, weil sich das chinesiche Volk einfach zuviel gefallen läßt.

Sie sprachen von einem „nationalen“ kulturellen Bewußtsein. Wie definieren Sie als kultivierter Hongkonger die Hongkonger Kultur?

In Hongkong treffen China und der Westen aufeinander. Wir können unabhängig denken, im Ausland studieren und haben Zugriff auf Bücher aus China, Taiwan und aus dem Westen. Hongkongs Besonderheit ist, daß es zur Vielfalt tendiert. Deshalb haben die Menschen in Hongkong auch viele unterschiedliche kulturelle Wertvorstellungen entwickelt.

Ein kulturelles Wertesystem kann nicht einfach durch ein anderes ersetzt werden. Es gibt keine Ideologie, die in Hongkong jemals vorherrschend werden könnte wie beispielsweise „die drei Prinzipien des Volkes“ in Taiwan oder der Kommunismus in China. Der Nachteil einer solchen Gesellschaft ist, daß ihre Fähigkeit zur Einheit schwach entwickelt ist; der Vorteil ist, daß eine solche Gesellschaft viele Meinungen gelten lassen kann und doch den Unterschied zwischen Gut und Böse kennt. Natürlich gibt es in Hongkong sehr viel mehr Chinesen als sonst außerhalb Chinas, deshalb müssen wir eine Variante chinesischer Kultur repräsentieren.

Nach 1997 wird Hongkong den demokratischen Garanten dieser Vielfalt verlieren und plötzlich auf sich selbst angewiesen sein. Was bedeutet das für die Intellektuellen? Glauben Sie wirklich an die chinesische Garantie „50 Jahre ohne Veränderung“?

Die fundamentalste Veränderung wird eindeutig politisch sein und die Meinungsfreiheit betreffen. In Hongkong glaubt keiner an die „50 Jahre ohne Veränderung“. Die meisten sitzen da und warten auf diese Veränderungen. Ich sage oft zu Intellektuellen und anderen Leuten: Wer nicht weint, wenn sein eigener Sarg vor ihm steht, ist bei seiner Beerdigung ein bißchen spät dran. Jetzt ist wirklich der Zeitpunkt, wo wir unsere Identität beweisen und für dieses Klima kultureller Vielfalt eintreten müssen, wenn wir wollen, daß das so bleibt.

1979 haben alle Deng Xiaoping als den großen Emanzipator gefeiert. Wei Jingsheng erklärte, daß es „die Vier Modernisierungen ohne Demokratie nicht geben kann“ und wurde sofort wegen Verrats zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung engagierte er sich weiter in der Demokratiebewegung und wurde im letzten Jahr wegen Subversion noch einmal für 14 Jahre hinter Gitter geschickt. Das ausgehandelte Hongkonger „Basic Law“ listet „Subversion“, „Spaltung“ und so weiter als Verbrechen auf. Bedeutet das nicht einen sicheren Platz auf der Anklagebank für die Wei Jingshengs von Hongkong? Fürchten Sie nicht, der Wei Jingsheng von Hongkong zu werden?

Es stimmt, Paragraph 23 des „Basic Law“ zählt Verbrechen wie „Subversion der zentralen Volksregierung“, „Spaltung des Vaterlands“ und „Diebstahl von Staatsgeheimnissen“ auf. Aber was heißt „Subversion“ und „Spaltung“ nach 1997, und was sind „Staatsgeheimnisse“? Nach welchen Kriterien wird das beurteilt?

Wir haben auf diese Probleme schon sehr früh aufmerksam gemacht. Inzwischen ist Wang Xizhe nach Hongkong geflohen [und lebt inzwischen in den USA, Anm. d.Ü.], Wang Dan wurde verurteilt, und Liu Xiabo wurde zu „Besserung durch Arbeit“ verurteilt. Das hat die Hongkonger Bevölkerung tief getroffen. Diese Logik, Partei = Staat und Opposition = Verrat, ist die größte Bedrohung für uns.

Auf internationaler Ebene trumpft China sowohl mit der ökonomischen als auch der politischen Karte auf, spielt Länder und Wirtschaftsunternehmen gegeneinander aus, um den westlichen Druck in bezug auf die Menschenrechte in China abzuschwächen: mit Versprechungen von Ein- und Ausfuhrverträgen, Joint ventures und Investitionen in China. Kann diese Strategie denn Erfolg haben?

Nicht wirklich. Die chinesische Regierung behauptet zwar andauernd, daß der chinesische Markt immer nur wächst, daß das Investitionsklima immer besser und die Profite immer größer werden. Aber nichts davon ist wirklich bewiesen. Westliche Unternehmen funktionieren nach einem bestimmten System, die glauben nicht einfach jeder Übertreibung und unbewiesenen Behauptung. Da sind eindeutige Beweise gefragt, einschließlich ihrer Überprüfung durch die Medien. „Wenn Amerika zu kampflustig wird, geben wir unsere Aufträge eben an die Briten, die werden schon spuren.“ Solche omnipotenten Sprüche der Regierung werden alleine auf Dauer nicht ziehen.

Der Westen muß Chinas Strategien und seine wahre ökonomische Situation gründlich analysieren und nicht einfach nur hoffen oder aus der Perspektive seines eigenen Wertesystems heraus darüber herumspekulieren – oder nach schnellen Profiten schielen. Und was Hongkong betrifft, sollte der Westen die Probleme, die mit der Abtretung der Souveränität verbunden sind, nicht als Bestätigung seines eigenen politischen Erfolges in der Vergangenheit interpretieren.

Besonders Großbritannien hat eine moralische Verpflichtung, seine Position deutlich zu machen und nicht unbeteiligt zuzuschauen, wenn Hongkong unter kommunistischem Druck aus China in die Knie geht.

Titelbild mit Bulldogge: Cover von „Dian Gou Daily“ Abb.: Index

Diese Textauswahl erscheint in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung, Köln

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen