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In guter Verfassung?

Zersplitterte Rechtsextremisten, weniger Anschläge von Linken und eine friedliche PKK: Hamburgs Verfassungsschutz berichtet  ■ Von Marco Carini

Die Prognose des Verfassungsschutzes ist eindeutig: Auch nach der Bürgerschaftswahl wird es keine rechtsextremen „Volksvertreter“im Hamburger Landesparlament geben. Bei Republikanern, DVU und NPD – die alle ihre Teilnahme am Urnengang angekündigt haben – seien keine Aktivitäten zu beobachten, ein taktisches Wahlbündnis zu schmieden. Schon 1993 hatten Reps und DVU allein aufgrund ihrer Konkurrenzkandidatur den Sprung ins Rathaus verpaßt.

Diese Zersplitterung sei für die rechte Szene derzeit symptomatisch, erklärten Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) und Verfassungsschutz-Chef Reinhard Wagner (CDU) gestern bei der Vorstellung des Hamburger Verfassungsschutz-Berichts 1996. Nach dem Verbot der meisten überregionalen Organisationen sei das „nationale Lager“in eine Vielzahl lokaler Kleingruppen zerfallen und stagniere in Hamburg „auf niedrigem Niveau“.

Anders als im Bundesgebiet ging die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalt- und anderer Straftaten in Hamburg 1996 zurück. Während es für „den Aufbau terroristischer Strukturen im Rechtsextremismus keine Anhaltspunkte“gäbe, sei eine zunehmende Intellektualisierung der rechten Szene zu beobachten, die über Burschenschaften und rechte Publikationen vorangetrieben werde. Zunehmende Probleme bereiten dem Verfassungsschutz die Aktivitäten rechtsextremer Datenbahn-User. Per Internet komme massenweise „strafbare Nazi-Propaganda nach Deutschland“, gegen die die Behörde machtlos sei.

In der linken Szene haben Wrocklage und Wagner genau nachgezählt: Die Zahl „gewaltbereiter Linksextremisten“in den A-Gruppen (Autonome, Anarchisten, Antiimperialisten und Antifaschisten) sei im vergangenen Jahr von 575 auf 680 Personen angewachsen. Dem stehe allerdings ein Rückgang linksextremistischer Gewalttaten auf Hamburger Boden um 40 Prozent entgegen.

Weder von den Revolutionären Zellen noch von der „Roten Zora“seien 1996 Anschläge verübt worden. Die „Antiimperialistische Zelle“(AIZ) sei nach der Verhaftung der mutmaßlichen AIZler Bernhard Falk und Michael Steinau im vergangenen Jahr „nachhaltig geschwächt“, wenn nicht gar zerschlagen worden. Während 1996 die Castor-Transporte Kristallisationspunkt linksmilitanter Aktivitäten gewesen seien, erwarten die Verfassungsschützer, daß sich Widerstandsaktionen im laufenden Jahr auf die Verhinderung der Umwandlung des Schanzenviertel-Wasserturms in ein Hotel konzentrieren könnten.

Ob in Hamburg zukünftig die Scientology-Sekte beobachtet werden soll, will Wrocklage nicht im Alleingang entscheiden. Hier habe die von der Innenministerkonferenz eingesetzte bundesweite Arbeitsgruppe das letzte Wort.

Im „Arbeitsbereich Ausländerextremismus“konstatieren die Verfassungsschützer eine deutliche Abnahme von Gewaltaktionen, die der verbotenen kurdischen „PKK“zuzurechnen seien, dafür aber eine Zunahme militanter Auseinandersetzungen zwischen Nachfolgeorganisationen der gespaltenen „Dev Sol“. Ein „latentes Gefährdungspotential“sehen die Demokratiebewahrer im „islamischen Extremismus“. Allerdings rechnet Wagner nicht mit einer militanten Reaktion auf das vorgestern ergangene Urteil im „Mykonos-Prozeß“.

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