: Mit der Schrotflinte auf den Ätherleib
Homöopathie und anthroposophische Medizin werden oft in eine Schublade gesteckt – zu Unrecht. Es gibt viele Verbindungen, aber auch prinzipielle Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anhängern der beiden Schulen ■ Von Lars Reppesgaard
Drei Viertel aller niedergelassenen Kassenärzte verschreiben homöopathische Mittel. Als „Homöopathen“ würden die meisten von ihnen sich deshalb aber wohl nicht bezeichnen, denn dann liefen sie – genau wie die „anthroposophischen“ Ärzte – Gefahr, von vielen Kollegen als „Paramediziner“ abgetan zu werden. Eine Pauschalisierung, die allerdings nicht nur wenig schmeichelhaft klingt, sondern bei der auch die grundlegenden Prinzipien und Unterschiede ihrer beiden Heilansätze im dunkeln bleiben.
Die ältere der beiden Schulen ist die Homöopathie: Schon 1790 kam der Arzt Samuel Hahnemann auf die Idee, „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu heilen, nachdem er sich mit dem Malariamittel Chinarinde vergiftet hatte und die Arznei bei ihm – dem Gesunden – genau die Symptome verursachte, die sie bei Kranken lindern sollte. Ein sehr logischer Gedanke also, findet Dr. Christian Kauf, Homöopath aus Starnberg: „Der alte Hahnemann kam zwar um Worte wie ,Lebenskraft‘ und ,Energie‘ nicht herum, aber mit Esoterik hat das überhaupt nichts zu tun.“
Die Selbstvergiftung war der Auftakt einer fortwährenden, wissenschaftlich ausgewerteten Suche nach den sogenannten Ursubstanzen. Die inzwischen natürlich längst auch als Computerprogramm verfügbaren Listen mit den Wirkungen der bislang etwa 2.000 katalogisierten Arzneistoffe sind nach wie vor das wichtigste Handwerkszeug für die gut 5.000 homöopathischen Ärzte in Deutschland.
Es gibt immer nur einen Wirkstoff
Für sie ist eine Krankheit keine Störung eines einzelnen Organs, wie es die Schulmedizin annimmt, sondern das Ungleichgewicht der Regelkreise und -systeme, die für ein harmonisches Zusammenspiel aller Körperfunktionen sorgen.
Eine winzige Dosis der richtigen Ursubstanz soll als Schlüssel funktionieren, um die Lebenskraft des Organismus, seine Fähigkeit zur Selbstheilung anzuregen. Um aber das richtige Mittel zu finden, muß nicht nur die Art, sondern auch die „Vorgeschichte“ (Anamnese) der Krankheit geklärt werden, wobei die Persönlichkeit des Erkrankten eine wichtige Rolle spielt. Ob ein Kind auf Schmerzen mit aggressivem Schreien reagiert oder passiv in sich hineinwimmert, macht bei der Wahl des Medikaments durchaus einen Unterschied. „Schließlich“, sagt Homöopath Kauf, „gibt es nur genau einen Wirkstoff, und das kann bei drei Patienten mit der gleichen Erkrankung jeweils ein anderer sein. Wenn man haarscharf danebenliegt, wirkt die stärkste Potenz nicht.“
„Wenn die Lebenskraft so zerstört ist, daß es nichts mehr zum Revitalisieren gibt, stößt die Homöopathie allerdings an ihre Grenzen. Das hat mich enttäuscht“, erklärt dagegen Thomas von Rottenburg. Der Heilpraktiker wandte sich deshalb der anthroposophischen Medizin zu und arbeitet auf dieser Grundlage in der Berliner Gemeinschaftspraxis Steinstraße mit einer Kunsttherapeutin zusammen. Seine Arbeitsgrundlage stammt aus den 20er Jahren und ist das Resultat einer Zusammenarbeit von Rudolf Steiner mit der holländischen Ärztin Ita Wegmann. Eine Krankheit liegt demnach vor, wenn das System aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich aus dem Gleichgewicht gerät. Für eine genaue Diagnose ist deshalb auch hier eine Persönlichkeitsanalyse unabdingbar. Von Rottenburg: „Mit den Mitteln der anthroposophischen Medizin kann ich tiefer dringen. Die Homöopathie leistet Gutes für den Ätherleib, während man mit anthroposophischen Methoden sogar den Ich-Leib dazu bringen kann, sich wieder für das Körperliche zu interessieren.“ Wo nicht mehr genug Substanz übrig ist, um Selbstheilungskräfte zu entwickeln, kann die anthroposophische Medizin laut von Rottenburg die Lebenskraft selbst stärken.
Homöopathische Arzneimittel können aber ein Teil der Behandlung sein, der gleichberechtigt neben den Kunsttherapien, Heileurythmie oder den rhythmischen Massagen steht. Von einer Frontstellung der unterschiedlichen ganzheitlichen Ansätze will Christof Müller-Busch vom anthroposophischen Berliner Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe denn auch nichts wissen: „Das kann sich beides gut ergänzen.“
Allerdings sind die hohen Potenzen, mit denen die Homöopathen arbeiten (siehe Kasten), für Anthroposophen wie von Rottenburg tabu. Zum einen befürchtet er Kunstfehler, wenn ein homöopathisches Mittel falsch gewählt wurde. „Damit kann man Menschen regelrecht umpolen, und das Risiko will ich nicht auf mich laden.“ Wichtiger noch: Das rapide Heilen hilft nach anthroposophischer Lehrmeinung nicht gegen die Krankheitsursachen. „Jede Krankheit bedeutet eine Entwicklungsaufgabe für den Menschen. Durch die enorme Wirksamkeit der Hochpotenzen wird dem Kranken die Chance genommen, diese Aufgabe selber zu lösen, und irgendwann wird er deshalb wieder krank.“
Mischen erhöht die Trefferquote
Nicht nur über die Dosierung geraten Steiners Anhänger mit denen Hahnemanns bisweilen in Streit. Anders als klassische Homöopathen mischen die anthroposophischen Mediziner auch die Ursubstanzen in ihren Medikamenten. Christian Kauf sieht hier ein Anzeichen dafür, daß die Konkurrenz nicht ihre Schulaufgaben macht: „Mischen ist Käse. Wenn ich genau das richtige Mittel habe, brauche ich nicht mit der Schrotflinte loszuballern in der Hoffnung, irgend was wird schon wirken.“
Anthroposophische Arzneimittelhersteller wie zum Beispiel die Firma Weleda schert das zum Ärger der klassischen Homöopathen nur wenig: Ihre in großen Mengen fabrizierten Mittel enthalten grundsätzlich mehrere Wirkstoffe. Und auch die großen homöopathischen Hersteller wie LOGIS oder die Deutsche Homöopathie Union in Karlsruhe praktizieren, was Kauf etwas barsch als „Bastard- Homöopathie“ bezeichnet. Man mischt und mixt die Präparate, weil mit Einzelmitteln keine Massenmärkte zu erschließen sind. Vielleicht ein Grund für ihre auch bei Schulmedizinern zunehmende Beliebtheit, denn mit dem Schrotflintenprinzip können selbst homöopathisch ungeübte Ärzte beim Patienten einen Treffer landen.
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