: Schluß mit Kellnern, Putzen, Taxifahren!
■ Doch gute Studentenjobs sind rar. Wie wär's mal mit was ganz anderem? Zum Beispiel als...
Party-Highlight
Feierlich schreitet Thomas Lange, in ein Schottenröckchen gehüllt, zu Dudelsackklängen auf die Tanzfläche. Die ZuschauerInnen kreischen. Zwischen gekonntem Hüftschwung und Spagat entledigt sich Thomas Stück für Stück seines Kostüms. Jeden Quadratzentimeter Haut quittiert das Publikum mit erneutem Crescendo.
„Ladies Night“ im gutbürgerlichen „Eichenkeller“ in Ahrensfelde. Vier Stripper sollen hier heute für gute Stimmung sorgen. Thomas setzt auf charmante Erotik. „Von allzuviel Aggressivität beim Strippen halte ich nichts“, sagt er. Seinen Lebensunterhalt finanziert der 25jährige Student des Wirtschaftsingenieurwesens als Go-go-Tänzer in Clubs und als Überraschungsgast auf Feten. Für zwei, drei Stunden kassiert er 250 bis 300 Mark. An guten Abenden gibt es ein Trinkgeld in ähnlicher Höhe.
Doch um dem Publikum etwas bieten zu können, geht Thomas viermal die Woche zum Fitneßtraining, zweimal probt er mit Kollegen eine gemeinsame Show ein. Bisweilen leidet das Studium unter dem berufsbedingten Schlafmangel des Strippers. Aber von Frauen bejubelt zu werden, streichelt das Ego: „Bevor ich vor drei Jahren anfing, war ich ein eher unsicherer Mensch. Durchs Strippen habe ich gelernt, aus der Masse herauszutreten. Im Mittelpunkt zu stehen, gibt mir einen unglaublichen Kick.“ Das Berufsrisiko, der unvermeidliche Ruf als Womanizer, läßt ihn kalt. Für ihn gibt es eine feste Grenze zwischen Bühne und Privatleben. Zartes Berühren während der Show ist erlaubt, mehr nicht. Dann und wann komme es allerdings schon vor, daß eine Zuschauerin direkt ins Zentrum packt. Doch nicht immer gelingt es, ein Publikum, das einmal außer Rand und Band geraten ist, wieder in die Schranken zu weisen. Ein wenig peinlich berührt erinnert sich Thomas an einen Auftritt in einem teuren Charlottenburger Club, bei dem das Publikum mitstrippte. Als man dann auch noch den improvisierten Vorhang auf der Tanzfläche niederriß, flohen er und seine Kollegen aus dem Lokal. Tanja Hamilton
Groschenromanschreiber
Es war spät, und der junge arbeitslose Zahnarzt hatte viel getrunken. „Ich brauche Geld“, seufzte er. Und packte mich so plötzlich am Arm, daß ich fast vom Barhocker fiel. „Ich hab's! Wir schreiben einen Arztroman!“ „Dr. Westermann und Sabine standen eng nebeneinander auf der Terrasse des Hotels und bewunderten den leuchtenden Vollmond. Endlich bin ich mit ihr allein, dachte Richard glücklich...“ Das schrieb ich, und der Zahnarzt dichtete dazu: „Die Leber wurde mit einem Haken hochgezogen, so daß die hochgradig entzündete, rotgrün schimmernde Gallenblase zum Vorschein kam.“ Eine brisante Mischung, freudig griff der Verlag zu.
Die Nachfrage nach Groschenheften ist groß, pro Jahr werden im deutschsprachigen Raum etwa 300 Millionen Exemplare verkauft. Drei Unternehmen teilen sich den Markt auf: der Bastei-Verlag aus Bergisch Gladbach, der Hamburger Kelter Verlag und der Rastatter Pabel-Verlag.
Auf den Arztroman folgten Mami- (Muster: Frau mit Kindern findet doch noch einen Mann) und Fürstenromane. „Seit Tagen waren die Bürger der kleinen Residenzstadt Wildenhain in heller Aufregung. Blumengirlanden schmückten die Häuser, der Bürgermeister übte seine Festrede, und in den Schulen probten die Musiklehrer mit den Kindern die Landeshymne...“
Jeder Roman hat etwa 100 Schreibmaschinenseiten – nach 64 Druckseiten ist die Geschichte am Ende. Alle Konflikte sind lösbar, Sexszenen verpönt, und schon auf den ersten Seiten muß klar sein, wer gut und wer böse, wer aufrichtig und wer intrigant ist. „Übermütig schüttelte Prinzessin Caroline die Locken zurück... In den schwarzen Augen des Marchese Di Riglio flackerte es unruhig.“
Für solche Figuren die unwahrscheinlichsten Geschichten auszuspinnen ist lustig, aber schlecht bezahlt. In der Regel gibt es nicht mehr als anderhalbtausend Mark pro Heftchen. Deshalb sollte der Roman innerhalb von acht Tagen fertig sein. Das verläßlich gute Ende ist vielleicht die größte Attraktion der Heftchenromane. Selbst die eigentlich abgebrühten Autoren können sich ihr nicht entziehen. Der Zahnarzt weinte vor Rührung, als er unseren Schlußsatz las: „Die vier brennenden Adventkerzen spiegelten sich in den kristallenen Kelchen und warfen ein mildes Licht auf vier fröhliche Gesichter, als die beiden Paare auf ihr Glück anstießen.“ Allerdings hatte er da wieder was getrunken.Carola Kreutzer
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