: Küchenjobs mit Kursverfall
1.200 Jugendliche kamen zur Lehrstellenbörse der Hamburger Handelskammer ■ Von Judith Weber
„Kopf oder Zahl“ist für Hubert Grimm keine Frage. Der Mann von der Handelskammer glaubt an Ziffern und Zahlen. Denn Köpfe manipulieren, mischen Meinungen mit Tatsachen. Zahlen dagegen sind eindeutig. Das gilt auch für die erste Hamburger Lehrstellenbörse am Freitag und Sonnabend. „Wir hatten etwa 1.200 BesucherInnen“, bilanziert Grimme. „400 Stellen waren zu vergeben.“
Über die Schulter schaut der Leiter der Ausbildungsbörse nach hinten. In der Mittelhalle des Handelskammer-Hauses tummeln sich die Köpfe hinter seinen Zahlen. Vor Bistro-Tischchen warten Firmenchefs und Azubis auf joblose Jugendliche, locken mal mit Schokolade, ein andermal mit Bleistiften und Feuerzeugen. Eine Supermarktkette hat eine Graffiti-Wand aufgebaut. Ein Klamottenladen verschenkt Poster, und Grimm wirft neue Zahlen in den Raum. „Zehn Unternehmen sind hergekommen. 90 andere haben uns freie Lehrstellen gemeldet.“
Eigentlich ist das Wochenende als Kontaktbörse gedacht, bei der Jugendliche die Unternehmen persönlich kennenlernen können. Also geht es doch um Köpfe? „Man kriegt einen klasse Eindruck, wie die Leute drauf sind“, findet die 16jährige Inga. Sie schlendert von Spar zu H&M, von dort aus weiter zur Haspa. Steckt ab und an eine Infomappe ein. Beschnuppern heißt die Devise. Die Jugendlichen beäugen die Firmen, die Firmen begutachten die Jugendlichen. „Wenn jemand hier einen schlechten Eindruck macht, laden wird ihn gar nicht erst zum Gespräch ein“, sagt Alexander Winter, Leiter eines Hamburger Hotels.
Im dunklen Anzug steht Winter an seinem wachsbetuchten Tisch und wartet auf einen Koch. Zwei Ausbildungsplätze hat seine Firma ab August. Doch Kochen gehört bei der Lehrstellenbörse der Handelskammer zu den Berufen mit Kursverlust. Fast niemand interessiert sich für den Küchenjob. „Mehr als 50 Prozent wollen in kaufmännische Berufe“, weiß Grimm.
Der einzige Kochwillige kommt drei Stunden vor Schluß der zweitägigen Börse. Siebzehn Jahre ist er alt und in Begleitung seiner Mutter. Gestreßt sind beide, und eigentlich nur bei der Handelskammer, um nichts unversucht zu lassen. Dreißig Bewerbungen und ebensoviele Absagen hat der 17jährige schon hinter sich. Die Jagd nach einer Lehrstelle ist längst zur Familiensache geworden. „Wir haben alles mögliche getan“, sagt die Mutter. „Wir haben sogar ein Jahr Hauswirtschaftsschule drangehängt, als das mit den Bewerbungen nicht klappte.“Alexander Winter bietet ihm einen Praktikumsplatz an.
Auf sowas hat der 15jährige Maik „gar keinen Bock“. Er ist zur Börse gekommen, um nicht jede Firma einzeln anrufen zu müssen. „Das ist ja ganz praktisch, die alle zusammen zu haben.“Ansonsten ist ihm eigentlich egal, was er lernt. Bei der Handelskammer ist er nur, weil seine Lehrerin ihn geschickt hat – eine Einstellung, die Hubert Grimm 50 Prozent der BesucherInnen attestiert. In Zahlen ausgedrückt: „Bestimmt 500 der 1200 BesucherInnen waren am Freitag morgen da. Lauter Schulklassen. Das spricht nicht für die Eigenverantwortung der Jugendlichen.“
Um die Mittagszeit leert sich die Halle und wird nicht wieder voll. Zwar stapeln sich auf einigen Tischen die Bewerbungen, zufrieden ist jedoch kaum jemand. „Wir hatten uns mehr erhofft“, bilanziert Daniela Hille. Sie vertritt einen Kleidungsladen. Nur selten frage jemand direkt nach Ausbildungsinhalten oder Aufstiegschancen.
Fragen überhaupt ist oft ein Problem, sagt Gerhard Ludin von der Handelskammer. „Viele wissen gar nicht, wie sie sich ausdrücken sollen.“Die 18jährige Karin Schüler hat damit keine Schwierigkeiten. Prospekteheischend schlendert sie von einem Tisch zum nächsten, will sich „nur mal informieren“. In zwei Jahren will sie Abi machen. Die meisten BesucherInnen kommen jedoch von Haupt- oder Realschulen. Wer bis jetzt noch keine Lehrstelle habe, sagt Ludin, gehöre im übrigen „zu den Schwächeren“.
Darüber spekuliert Hubert Grimm lieber nicht. Er schaut nach vorne, auf zukünftige Zahlen. In den kommenden Monaten will die Handelskammer 1.000 weitere Lehrstellen gewinnen. „Und wer nicht kommt, dem können wir auch nicht helfen.“
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