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Das Trällern der Kopistin

■ Spaziert auch auf der wilden Seite: Schreien und Jauchzen bei Blümchens Konzert

Ich wollte es gut finden – ehrlich. Aber dann ...: Da kam dann der Moment, da dachte ich nur: Raus! Was will ich hier? Wie bin ich hier nur reingekommen? Wessen Idee ist das gewesen, zum Blümchen-Konzert ins Berliner Tempodrom zu gehen?

Meine eigene, zugegeben. Und am Anfang war es auch gar nicht schlecht. Die ganzen besorgten Mamis zu sehen, die zum ersten Mal mit ihren Töchtern, die meisten so acht, neun Jahre alt, auf einem Pop-Konzert sind und aufgeregter scheinen als die Kinder. Eine Mutter zum Beispiel steht vor dem Eingang und fragt ein Mädchen mit Sonnenblumen in den Zöpfen ganz besorgt: „Und du meinst wirklich, ich brauche nicht mit reinzukommen?“ und die sagt dann: „Pöh! Ach was, bloß nicht!“ Woraufhin die Mutter, heftig verstört ob der plötzlich erahnten zukünftigen Unabhängigkeit der Tochter schnell zum Kartenschalter hastet und für 26 Mark doch noch schnell ein Blümchen-Ticket ersteht. Da ist die Sonnenblumentochter allerdings schon im jauchzenden Fanmeer verschwunden.

Das jauchzt nicht nur, das schreit sogar gellend in ohrenbetäubenden Höhen, und obwohl die Bühne nur etwa ein Meter hoch ist, kann man auch von weiter hinten noch prima sehen, denn die Fans, die vorne stehen, sind sehr klein und meistens wohl noch keine zehn. Man schwenkt bunte Leuchtstäbe, wirft Blumen, sein Lieblingsstofftier oder einen Liebesbrief auf die Bühne, auf der „Blümchen“, die eigentlich Jasmin Wagner heißt, 17 Jahre alt ist und von Popcorn zur besten Sängerin des Jahres 1996 gekürt worden ist, recht professionell ihr Programm durchzieht. Sie singt alle ihre munter kopierten Songs von Nena, Queen, Faithless, Robert Miles und was weiß ich wem noch. Sie singt auch, soweit ich das beurteilen könnte, entgegen anderslautenden Gerüchten selbst. Und sie trägt keine Blümchen mehr im Haar, dafür aber extrem körperbetonte Goldlackminitops und Nerzstolas, die den Busen sanft umrahmen. Blümchen vom Kleinkindstar zum Sexsymbol, so hat sich die Plattenfirma das gedacht.

Und deshalb sind eben nicht nur die 7jährigen blumenbezopften Mädchen gekommen, sondern auch die plastiklederjackentragenden, stiernackigen, bierbäuchigen Halbglatzköpfe. Einer von denen steht vor mir, wird nicht müde, mit seiner Pocketkamera ein Foto nach dem anderen von der halbnackten Jasmin Wagner zu schießen. Da denkt man schon, wo bin ich denn hier? Und als so ein Arschloch neben mir dann auch noch nach der Textzeile: „Bitte, gib mir noch Zeit“ stumpf „Nix da! Hinlegen!“ blökt, da wird mir dann doch recht heftig schlecht.

Die Imageplaner haben Blümchen auf einen verdammt schmalen Grat geschickt: Heintje- Techno für Mamas und ihre achtjährigen Töchter auf der einen, minderjähriges Sexsymbol für den 20jährigen Single auf der anderen Seite. Sehr wahrscheinlich, daß sie da abstürzen wird, über kurz oder lang, vor allem auch, weil vieles wirklich peinlich ist. Denn natürlich ist das ganze nur ein „gemachter“, ein Plastiktrend und bloß eine Frage der Zeit, wann die Trendforscher den Daumen senken und Blümchen wieder einfach nur Jasmin Wagner sein wird. Eine Frau, dann vielleicht 18 Jahre alt, mit mäßig guter Stimme und einer Vergangenheit als Heintje-Techno-Königskind. Volker Weidermann

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