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Die durch die Bilderhölle gehen

■ John Woos Gewaltepos Bullet In The Head zum ersten Mal auf einer deutschen Leinwand

Irgendwo im Kopf von Frank steckt eine Kugel. Gegen die Schmerzen spritzt er Heroin, für das Heroin mordet er. Frank ist ein Monster, und nur der Tod kann ihn erlösen. Ben gibt ihm den Gnadenschuß und erledigt danach Paul, der seinem Freund einst die Kugel verpaßt hat. Ordnung muß sein, zumindest zum Schluß des Films, nachdem der Regisseur seine Helden durch ein Chaos aus Chiffren gejagt hat. Durch eine Hölle aus Bildern.

Verrat und Freundschaft – das war 1990 ein weiteres Mal das große Thema von John Woo. Doch das eigentlich treue Publikum in seiner Heimat Hongkong ließ den Film an den Kinokassen floppen, und auch beim Rest der Woo-Fans in den Videotheken des Westens stieß Bullet In The Head bei Erscheinen auf Unverständnis. Das 3001-Kino bringt ihn jetzt zum ersten Mal regulär in einem deutschen Kino zur Aufführung. Nachträglich muß das Urteil unbedingt revidiert werden: Das Kriegsepos ist komplex wie kein zweites Werk von Woo, wahrscheinlich ist es sein bestes. Auch weil der manische Moralist hier endgültig jede Ordnung der Zeichen zugunsten einer höheren über den Haufen schmeißt.

Wie ein freier Fall durch die Geschichte von Fernost ist das genresprengende Spektakel angelegt. Woo fiebert eine historische Kulisse zusammen, vor der die drei Freunde Ben, Frank und Paul ihre Adoleszenz verleben. Im Hongkong der späten Sechziger, von Streiks und Studentenunruhen in pittoreske Rauchschwaden getaucht, töten sie den Anführer einer befeindeten Gang und müssen anschließend nach Vietnam flüchten. Hier stolpern sie zwischen den Fronten rum, legen sich mit der Unterwelt Saigons an, werden im Dschungel von den Vietcongs gefangengenommen und gefoltert. Wo immer eine Bombe hochgeht, da erscheinen auch Ben, Frank und Paul auf der Bildfläche.

Es ist weniger dieses ultrahocherhitzte historische Derivat, das dem Zuschauer so arg zusetzt. Vielmehr wirbelt Woo, der hier die Handlungsfäden von Der eiskalte Engel, Denn sie wissen nicht was sie tun und Die durch die Höllegehen zu einem Erzählstrom zusammenfaßt, noch einmal monumental alle Zeichenebenen durcheinander. Der Hyperrealismus der klassischen Kriegserzählung und die gleichsam erhöhten Gewaltopern des Gangsterkinos folgen ganz dicht aufeinander. Da kann der Dekodierungsmotor schon mal heißlaufen, denn Woo zelebriert in Slowmotion seine berühmten ballistischen Ballettnummern, für die die Akteure anmutig im Mündungsfeuer der Schnellfeuerwaffen tänzeln, um danach authentisch Exekutionen in Szene zu setzen.

Bullet In The Head ist, natürlich im guten Sinne, eine Zumutung für den Zuschauer, der hier zusätzlich mit moderner Ikonographie konfrontiert wird, die sich historisch nur schwer legitimieren läßt. Am Anfang zum Beispiel stellt sich ein Student unbewaffnet einem Panzer entgegen – unverkennbar ein Verweis auf das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, das ein Jahr vor dem Dreh in Peking stattgefunden und Woo offensichtlich tief bewegt hat. Denn davor hat er panische Angst: vor der Übernahme Hongkongs durch China in diesem Sommer. Das 3001-Kino hat also wie zufällig einen symbolisch geladenen Starttermin für Bullet In The Head gewählt. Woo selbst ist übrigens Anfang der Neunziger nach Hollywood ausgewandert, wo er seitdem unterhaltsame Action-Reißer wie Hard Target dreht.

Nach Bullet In The Head aber ist dem Innovator, aus dessen ästhetischem Fundus sich in den letzten Jahren die üblichen Verdächtigen von Martin Scorsese bis Quentin Tarantino bedient haben, eigentlich nur noch ein bedeutender Film geglückt: die krasse Krimi-Komödie Hard Boiled aus dem Jahr 1992. Wie ein feierlich zelebrierter Abschied nimmt sich die letzte Szene dieses letzten Hongkong-Films von Woo aus. Darin zerfetzt ein Geschoß in Zeitlupe die Pupille eines Bösewichts. Die Kugel im Kopf und die Kugel im Auge – Woos beste Filme sind ein Angriff auf das Zentrum der Wahrnehmung. Der Regisseur führt Vernichtungsfeldzüge, die den Zuschauer so lädiert zurücklassen wie seine Helden. Aber aller Verstümmelung und allen Feuerorgien zum Trotz, die Moral ist am Ende immer intakt.

Christian Buß

Do, 29. Mai bis Mi, 4. Juni, jeweils 22.30 Uhr, 3001

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