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"Er fand es nicht witzig"

■ "Titanic"-Redakteur Sonneborn über einen Undercover-Trip zum "Focus"

„Raus aus den Klassenzimmern! Tolle Preise für junge Visionäre!“ Bei diesem Mitmach-Aufruf des „Focus“ fühlten sich nicht nur Abertausende Schülerzeitungsredaktionen angesprochen, sondern auch die Info-Elite der „Titanic“. Mit dem „Kleinen Wörterbuch der Jugendsprache“ im Gepäck machte sie sich auf zum Undercover-Wandertag nach München. Ein bleibendes Erlebnis.

taz: Das „Focus“-Gebäude in der Münchener Arabellastraße gilt als eine der bestgesicherten Redaktionen Europas. Wie habt ihr es geschafft, die Sicherheitsschleusen und Türsteher zu überwinden?

Martin Sonneborn: Die Sicherheitsschleusen und Lichtschranken bei Focus sind auf normal gewachsene Erwachsene zugeschnitten. Als 17jährige Schüler sind wir aber bloß so 1,23 bis 1,45 Meter groß gewesen, damit stand uns praktisch alles offen. Geholfen hat aber auch, daß wir ordnungsgemäß angemeldet waren und erwartet wurden!

Der Großteil der „Titanic“- Elite ist schon über 30 – also wesentlich älter als die meisten „Focus“-Redakteure. Wie habt ihr es trotzdem geschafft, als Schüler durchzugehen?

Das ging nicht ganz ohne Opfer ab. Wir haben z.B. auf der Zugfahrt nach München Tic Tac Toe gehört. Grauenhaft! Einfacher war da die Verkleidung: Wir trugen Basecaps, unglaublich schrillfarbene Kapuzenjacken, Turnschuhe, und unsere Layouterin Martina Gustke hatte an dem Tag sogar rote Haare und einen falschen Nasenring. Aber der überzeugendste Trick war, daß wir einfach den, der von uns allen am ältesten aussieht, zu Hause gelassen haben: Thomas Gsella.

Stimmt es eigentlich, daß bei „Focus“ überall Porträtbilder von Helmut Markwort hängen?

Nein. Das einzige, was überall herumhing, waren wir.

Habt ihr auch einen Blick in die Kantine werfen können oder in Markworts Tagebuch?

Nein, wir waren zu sehr damit beschäftigt, die Getränke im Konferenzraum wegzuschlucken. Und was Markworts Tagebuch angeht: Wenn ich mich nicht täusche, hat alles Wichtige darüber vor ungefähr drei Jahren schon mal in der taz gestanden.

Seit Jahren gibt es Gerüchte, daß es sich bei dem im Werbespot gezeigten Konferenzzimmer um eine Attrappe handelt. Könnt ihr das bestätigen?

Nein. Die einzigen echten Attrappen im Konferenzraum waren wir.

Man hört auch immer wieder von einem großen Panzerschrank, in dem Markwort die Schmerzensgelder aufbewahrt, die er in seiner Freizeit einsteckt.

Das sind Gerüchte. Wir wissen nur von einem gewaltigen Panzerschrank, aus dem Markwort die Gerichtskosten für seine verlorenen Prozesse bezahlt. Da war ja nicht nur der Prozeß gegen Titanic; allein zwischen Spiegel und Focus gab es bis heute ungefähr 55 Prozesse, von denen Markworts Seite die Rekordquote von knapp 50 verlieren konnte.

Es ist ja bekannt, daß die „Focus“-Redakteure mit ihrem Chef eine geradezu abgöttische Liebe verbindet. Nun war Markwort zu der Zeit eures Besuchs gerade in Australien. In welchem Zustand habt ihr die Redaktion vorgefunden?

Ganz im Vertrauen: ein wenig desolat! Auch wir feiern natürlich rauschende Feste, sobald Titanic- Chefredakteur Oliver Schmitt seine Nase nur zur Tür raussteckt, aber daß sich eine Redaktion so aufgibt, wenn der Chef mal nicht da ist – das wäre bei uns nicht möglich.

Ihr habt den CvD als „bärtige Medienkugel“ beschrieben. Hatte er auch sonst Markwort-Format?

Nein, keinesfalls! Was dem gar nicht unsympathischen Herrn Lanninger mindestens fehlt, ist ja doch Markworts Auftritt in dem Film „Engelchen oder Die Jungfrau von Bamberg“, wo er, Markwort selbst, als Taxifahrer einer jungen Schauspielerin routiniert zwischen die Beine faßt!

Ist es nicht unverantwortlich von Helmut Markwort, das dickste deutsche Nachrichtenmagazin einem Mann zu überlassen, der noch nicht mal einen 32jährigen „Titanic“-Redakteur von einem 18jährigen unterscheiden kann?

Natürlich! Wenn Markwort weg ist, geht bei Focus alles drunter und drüber. Das ist doch Wahnsinn, daß da eine Bande wildfremder Spione alles austrinkt, grinsend herumfotografiert, gebrauchte Kaugummis unter die Türklinken klebt und Telefonverzeichnisse mitgehen läßt.

Wie hat Markwort auf euren Besuch reagiert?

Das wollten wir auch gern wissen. Deshalb haben wir es uns auch nicht nehmen lassen, gestern noch einmal mit ihm persönlich zu telefonieren. Durch ein Mißverständnis dachte Herr Markwort allerdings, er würde mit einem „Herrn Hansen“ von der „dpa Frankfurt“ sprechen. Dem hat er anvertraut: „Also, so witzig find' ich das nicht!“ Und daß er aber seinem Vize Lanninger – der uns ja herumgeführt hatte – sogar noch eine Eintrittskarte zum Spiel Turin–Dortmund geschenkt habe. Ich vermute, daß Lanninger sofort nach dem Spiel erschossen wurde. Aber etwas Genaues weiß man noch nicht. Interview: Oliver Gehrs

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