: 90.262 Kilometer Norwegen
■ Ragnar Hovland erfreut mit zwei literarischen Road Movies
Das Gute am Road Movie ist seine Geschwindigkeit. Es geht gleich zur Sache und das Tempo wird angezogen. Der Blick ist durch die Windschutzscheibe starr nach vorne gerichtet, die Dialoge konzentrieren sich auf Drei-Wort-Sätze, den Whisky trinkt man schluckweise aus der Flasche. Hauptsache, die Benzinpumpe hält durch.
Der norwegische Schriftsteller Ragnar Hovland, der als Vorbilder gern Friedrich Nietzsche und Clint Eastwood nennt, ist ein Könner des literarischen Gegenstücks dieses Genres. 30 Romane hat er verfaßt, dazu Kinderbücher, Theaterstücke und Übersetzungen gemacht. Kein Wunder, daß bei diesem Ausstoß keine Zeit bleibt für gedrechselte Endlosreflektionen über das Sosein als Dasein im Nirgendwo. Kein Wunder auch, daß Rogner & Bernhard eine erste Kostprobe dieses Schaffens gleich im Doppelpack vorlegt.
Im ersten Roman namens Paradies ist Roger in der Knastzelle die Jungfrau Maria erschienen, um ihn daran zu erinnern, daß ihm da draußen noch jemand eine ganze Menge Geld schuldet. Wo dieser Jemand steckt, will sie nicht verraten. Was bleibt Roger also übrig, als sich selbst auf den Weg zu machen. Vorher muß er nur noch ein passendes, ähnlich wortkarges Mädel finden, das rein zufällig ein Auto besitzt. Von Fjord zu Fjord geht die Fahrt, immer nordwärts. Roger gerät in diverse Schlägereien, während Gloria im Hotelzimmer auf den gerupften Helden wartet. Zwischendurch verlieben sie sich ineinander, und am Ende fällt ein Schuß.
Der zweite Roman Eline und Julie nehmen die Fähre beginnt entsprechend da, wo der erste abblendet: bei einer Beerdigung. Im Sarg liegt der Polizist Ivar. Vor ihm steht Eline, die nun rätseln darf, wer ihrem Lover dieses kreisrunde Loch in den Kopf geschossen hat. An was für einem Fall hat Ivar gearbeitet und warum, und wer durchsucht tagsüber Elines Wohnung? Bei ihren Überlegungen steht Eline ihre Freundin Julie hilfreich zur Seite. Abwechselnd Kaffee und Wein trinkend machen sie sich auf die Suche nach Täter und Motiv, unterstützt vom 110-Kilo-Detektiv Herman, verfolgt von diversen düsteren Männergestalten.
Allerlei Rätselhaftes läuft ihnen über den Weg, während sie durch Oslo brausen und sich ihre Freundschaft mehr und mehr festigt. Und so wie Gloria am Ende auf den Fahrersitz wechselt, nehmen Eline und Julie zum Schluß tatsächlich die Fähre und lassen Oslo und diese ganze verkorkste Krimi-Welt endgültig hinter sich. Denn vor den Frauen sterben bekanntlich die Männer. Frank Keil
Ragnar Hovland: „Paradies / Eline und Julie nehmen die Fähre“. Rogner & Bernhard, 1997, 279 Seiten, 33 Mark
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