Der Maler malt in der dritten Person

Politkunst zwischen Wahnsinn, High und Low: Das Haus am Waldsee zeigt mit „Erró wieder in Berlin“ eine umfangreiche Retrospektive des isländischen Agitprop-Popkünstlers  ■ Von Michael Nungesser

Die Bilder springen einen an – chaotisch, knallbunt, aber sehr dynamisch. Die Welt als Irrenhaus, mit Robotern und Soldaten, Bombenflugzeugen und Bildschirmen. Ein einziger Alptraum. Vor allem sind Errós „political paintings“ im Haus am Waldsee Bilder über Bilder und Bilder von Bildern. Polit- kunst aus dem Geist der Sechziger katapultiert in die elektronischen Netze der Neunziger. Mit Pinsel und Computer.

Hinter dem markanten Künstlerpseudonym Erró verbirgt sich ein gewisser Gudmundur Gudmundsson. Der Isländer wurde 1932 in Olafsvik geboren und lebt seit 1958 hauptsächlich in Paris. Nach traditionellem Kunststudium in verschiedenen Ländern inspirierte ihn vor allem die Dada-Bewegung und die für sie typischen Ausdrucksformen von Montage und Collage. Später führte sein Weg über die New Yorker Pop-art zu wandbildgroßen gemalten Collage. Sein Arbeitsstil ähnelt anderen europäischen Pop-Künstlern wie den Spaniern Eduardo Arroyo und Equido Crónica oder auch den Berliner Kritischen Realisten, etwa Klaus Vogelgesang oder Wolfgang Petrick, die meist reflektierter auf die Konsumgesellschaft reagieren als ihre US-amerikanischen Kollegen. „Erró in Berlin“ hieß seine bisher einzige Einzel- Ausstellung 1971, als DAAD-Stipendiat in der Galerie André (heute: Anselm Dreher). Nun also wieder: Erró in Berlin.

Die politischen Bilder stehen bis heute im Zentrum seines manischen Arbeitsdranges. Ihre Auswahl verdeutlicht, wie konsequent die mediale Bilderwelt von Erró geplündert und verwertet wird. Er ist passionierter Sammler: „Ich bin immer auf der Jagd nach Bildern, Dokumenten, Zeitschriften, Katalogen und illustrierten Diktionären ... Ich akkumuliere eine enorme Menge an Material ...“ Erró projiziert seine Collagen oder, neuerdings, computeranimierten Bilderkombinationen fotografisch auf Leinwand, erfaßt mit dickem Filzstift die Konturen und malt mit dem Pinsel die Flächen in Segma (einer speziellen Ölfarbe) aus.

„Erró malt in der dritten Person“, heißt es im Katalog. Nicht Augenzeuge zu sein wie Goya – „Ich habe es gesehen“ steht unter einigen seiner radierten „Desastres de la guerra“ – kann heute gelten, sondern: „Es wurde mir gezeigt“, d.h. aufs Auge gedrückt. Massenhaft. Als Foto, Karikatur, Comic; als Fernsehbild, vermischt mit Anzeigen, Werbung, Fiktion. Es sind gezappte Häppchen, für die Erró ausschließlich Medienmeterial verwendet. Vergleicht man im Katalog abgebildetes Vorlagenmaterial mit dem Gemälde, wird die detailgenau zitierende Übernahme deutlich. Tausend Zitate in einem Gemälde, puzzleartig zusammengesperrt oder im zentralperspektivischen Raumgefüge positioniert wie die auseinanderfliegenden Teilchen einer stillgelegten Explosion: Pop-Barock.

In Serien der siebziger Jahre wendet Erró noch ein Kompositionsprinzip an, bei dem zwei verschiedene (mediale) Bildebenen mit malerisch-fotorealistischer Delikatesse ironisch verschwistert sind. In den „Chinese Paintings“ tauchen Gestalten der Peking Rundschau quasi als Polittouristen in west-östlichen Postkarten-Metropolen auf, in den „American Interiors“ stürmen bewaffnete Poster-Maoisten das gepflegte US- Mittelstandsambiente aus Kaufhauskatalogen. Direkte Konfrontation bietet die Serie von Gemälden „For Robert Crumb“, in denen Szenen aus dessen pornographischen Underground-Comics einem Nazi- oder Kriegsplakat der Zeit schockhaft gegenübergestellt sind – sexuelle Triebhaftigkeit und Militarismus sind gleichgeschaltet.

Kaum ein politisches Ereignis, das Erró dann in seinen verwirrend vielfigurigen plakativen Großbildern nicht aufgegriffen hat: Zweiter Weltkrieg und Korea-Krieg, Che Guevara und Nelson Mandela, „CIAKGB“ als Schurkenkomplott, „Nato“ als wildgewordener mörderischer Kinderzirkus und „The Helsinki Conference“ als animalisch-räuberisches Glücksspiel. Neuere Riesenkompositionen erscheinen wie Spiegelkabinette und Kaleidoskope oder als Superschrei: „Desert Storm“ (1991), ist ein beklemmendes Materialschacht-Triptychon, „For Pol Pot“ (1993) ein einziges grau-trübes Gemetzel von Monstern. Bilderflut erschlägt Realität, und die Kunst schlägt mit gleichen Mitteln zurück. Schrill, fast unerträglich. Erró reagiert auf den Kampf an der Informationsfront voll Hohn, Spott und Skepsis, vor allem aber als Kunstrebell.

Bis 21.9., Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Di.–So. 10–18 Uhr, Katalogbuch: 38 DM