: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Was da ist, wird bespielt: Der Verein Freie Volksbühne hat sein Haus an der Schaperstraße wieder, doch zu einem Schauspielbetrieb mit Anspruch führt momentan kein Weg mehr zurück ■ Von Kolja Mensing
Eine Erblast in Leuchtbuchstaben: An der Wand vom Theater der Freien Volksbühne prangt immer noch der strahlend gelbe „Musical“-Schriftzug, der vier Jahre lang die langsam ausbleibenden Besucher der Pleite-Show „Shakespeare & Rock 'n' Roll“ begrüßte.
Das Musical hat im Mai diesen Jahres Konkurs angemeldet. Jetzt ist das Haus wieder in den Händen des Vereins Freie Volksbühne, beziehungsweise der Betriebs- GmbH seines Theaters an der Schaperstraße. In dieser Woche gab der Verein bekannt, wie es weitergehen soll mit der Großbühne. Vorrangiges Ziel wird sein, Geld zu verdienen – soviel ist klar. Denn nachdem der Verein sein Haus von den Musical-Betreibern zurückbekommen hat, ist die Finanzlage vollkommen desolat: Es reichte dieser Tage noch nicht einmal für ein paar Handwerker, um das gelbe Leuchtemblem am Theater entfernen zu lassen.
Der ehemalige Geschäftsführer Günter Schulz war für den Verein zur Pressekonferenz gekommen. Glücklich sah er nicht aus. Kein Wunder: Sein Verein hat es mit dem Theaterhaus in Wilmersdorf in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Dabei hatte es einst alles so hoffnungsvoll begonnen. 1963 zog das Theater der Freien Volksbühne mit Erwin Piscator als Intendanten endlich in ein eigenes Haus. Es folgten gute und schlechte Zeiten, unter Kurt Hübner ab Anfang der 70er Jahre dann sehr gute: Er holte Zadek und Fassbinder nach Berlin.
Abgelöst wurde Hübner 1986 von dem ausgabenfreudigen Hans Neuenfels, der die Bühne an den Rand des Ruins trieb. 1992 strich der Kultursenat im Zuge der Sparmaßnahmen die Subventionen – der Verein mußte, wollte er das Haus behalten, zum Vermieter für Kommerzkultur-Unternehmer werden. Und investieren: Bevor das Shakespeare-Musical einzog, wurden acht Millionen Mark in das Gebäude gesteckt.
Die Investitionsschuld wurde durch die Mieteinnahmen der letzten Jahre kaum gemindert, dazu kommt der jährliche Unterhalt für das Haus. Also wurde jetzt Hans- Jürgen Simmersbach unter dem stolzen Titel eines Generalbevollmächtigten als Mann für das schnelle Geld engagiert. Simmersbach bringt Erfahrung aus dem Boulevard-Theaterbetrieb mit und ist zur Zeit – neben seinem neuen Berliner Job – Geschäftsführer einer Hamburger Besucherorganisation. Er soll den Spielbetrieb in der Volksbühne wieder ankurbeln.
„Wir müssen beides in Einklang bringen: Geld verdienen und interessante Veranstaltungen fürs Publikum“, findet der Generalbevollmächtigte und hat darum rasch zwei flotte Erfolgsnummern organisiert: Ab dem 7. Oktober ist die Revue „Tango Pasión“ zu sehen, die vor zwei Jahren schon einmal in Berlin gastierte. Vom 29. Oktober an hüpft Nadja Tiller über die Bühne: in „Nächte mit Joan“, ausgeliehen von den Hamburger Kammerspielen. Zu deren Leitung übrigens Ulrich Tukur gehört, der 1984 in der Freien Volksbühne schlagartig berühmt geworden war, als er den SS-Offizier Kittel in Peter Zadeks spektakulärer Inszenierung von Joshua Sobols „Ghetto“ spielte.
Die großen Zeiten sind vorbei, nur das große Theaterhaus mit seinen knapp 1.100 Plätzen ist noch da. Günter Schulz ist wehmütig: „So ein schönes Theater. Es wäre schade, es zu schließen.“ Langjährigen Vereinsmitgliedern blutet beim Gedanken an einen Verkauf des Theaters das Herz. Doch die Logik, die hier waltet, kennt man schon vom Schiller Theater: Ein Renommier-Gebäude muß auch bespielt werden. Hauptsache, es kostet nichts.
Der Verein Freie Volksbühne reduziert sich damit zum Finanz- Controller für seine eigene Betriebsgesellschaft. Auf den Spielbetrieb an der Schaperstraße wird man unter künstlerischen Gesichtspunkten kaum Einfluß nehmen können. Warum sich dann mit der Immobilie belasten? Die Verantwortlichen werden der Frage kaum ausweichen können, ob das Theater möglicherweise nur noch ein Klotz am Bein einer gut funktionierenden Besucherorganisation ist – mit der vagen Hoffnung darauf, daß die Berliner Festspiele ein- oder zweimal im Jahr für anspruchsvolles Programm sorgen.
Doch innerhalb des Vereins ist die neue Linie – Kasse statt Klasse – offensichtlich nicht unumstritten: Simmerbachs Vertrag läuft nur bis zum 31. Dezember 1997. Anscheinend wollte die Freie Volksbühne nach den schlechten Erfahrungen mit den Musical-Betreibern diesmal etwas vorsichtiger sein. Über langfristige Pläne und eine Weiterbeschäftigung des Generalbevollmächtigten wird wohl erst nach den Vorstandswahlen Ende Oktober entschieden.
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