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Die Logik des Elternmords

■ Schauspieler gehen von hier nach da und reden vor sich hin: „Ich, Maude... oder La Malvivante“ von Sylviane Dupuis und Claudia Bosse in der Parochialkirche

Der Text müllert ein bißchen, streift gehorsam das gesamte Repertoire der großen Zurichtungsthemen von E wie Erziehung bis M wie Militär und manövriert sich nur mit Mühe zwischen plakativem Eins-zu-eins-Realismus und Sozialkitsch hindurch. Die Sprache ist rauh bis blumig, die Diktion der Schauspieler gewollt monoton mit vereinzelten Hysterie-Einsprengseln. Der Plot ist nur skizziert, Aktionen sind rar.

„Ich, Maude... oder La Malvivante“, 1995 als Gemeinschaftsprojekt der Schweizer Autorin Sylviane Dupuis und der Berliner Regisseurin Claudia Bosse in Genf erfolgreich uraufgeführt, ist nun in einer deutschsprachigen Neuinszenierung in der Parochialkirche zu sehen.

In einheitliches Blau gekleidet sind die Schauspieler mit dem Rücken zum Publikum an den Wänden aufgereiht, und wenn sie zu sprechen beginnen, hallen ihre Worte fremd von den Mauern wider. Es wird Geburtstag gefeiert. Doch bei dem kleinen Häufchen Zuschauer, das sich zögerlich im leeren Raum verteilt, scheint es sich um die einzigen Gäste zu handeln. Maude wird 18, und weil sie noch nicht eingetroffen ist, erzählen die steinernen Wände dunkle Geschichten von Menschendressur und Körpermaschinen, von Ordnung und chirurgischer Präzision.

Mal synchron gesprochen, mal mit unendlich gedehnten Pausen springen die Sätze durch den Raum wie Bälle, die keiner auffängt. Unter dem kalten Licht einer einzigen Glühbirne wird hier ein Kommunikationsverhalten seziert, das unaufhörlich um sich selbst kreist. Das Zentrum ist Maude, doch wirklich gemeint ist sie nicht.

Das Pferdchen tötet die Eltern

Wenn Maude dann endlich kommt, die erste Bewegung. Ein aufgescheuchtes Pferdchen galoppiert durch den Raum und erstarrt in seiner Mitte. Dieses Pferdchen, man weiß es, wird nun seine Eltern töten. Präzise und emotionslos begeht Maude ihr grausiges Werk – die tätige Konsequenz einer Grausamkeit, die als strukturelle längst alltäglich ist. (Leichen kennt hier schließlich jeder, „man stapelt sie, füllt Gräben mit ihnen, schneidet sie in Stücke“.)

Und für Momente bekommt die Kälte, die von dem alten Kirchengemäuer ausgeht, Gesellschaft von einer neuen Kälte. Doch dann wird es lau: von der systemverändernden Kraft, die für die Regisseurin Claudia Bosse von Maudes Wahnsinnstat ausgehen soll, ist wenig zu spüren. Bevor am Ende die Ausgangssituation wiederkehrt, um verbale Versatzstücke der Nähe kaum merklich ergänzt, klafft eine Leerstelle. Schauspieler gehen von hier nach da, werfen sich Blicke zu und reden vor sich hin. Nichts weiter. Sabine Leucht

Noch bis zum 22.9., 20 Uhr, Parochialkirche, Klosterstraße 67

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