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Wenn das Chakra klemmt

Sie wollen „in Harmonie mit sich selbst und dem Kosmos“leben, die Schwingung der kosmischen Energie erfahren? Kein Problem! Das bunte Metallplättchen aufs Haupt oder unters Kopfkissen gelegt – schon strömen „positive vibrations“. Von der brieftaschengroßen, lila eingefärbten Aluminiumtafel dürfen schließlich „Wunder“erwartet werden, wie ausdrücklich auf der Verpackung steht. Die von der Purpurplatte ausgehenden Schwingungen sollen bei Alkoholismus, Rheuma und Muskelzerrungen ebenso helfen wie bei Verbrennungen oder Schlaflosigkeit. Als willkommene Nebenwirkung werde zusätzlich die spirituelle Entwicklung angekurbelt.

Das jedenfalls behaupten die Hersteller, die das magische Metall auch für kranke Haustiere und Zimmerpflanzen empfehlen. Die Idee der Purpur-Platte wurde übrigens laut Packungsbeilage „von höheren Sphären auf die Erde geschleust“. Die Preise sind aber durchaus irdisch. Kleine Platte 29, große 69 Mark.

Wenn das Chakra klemmt: Taschenlampe und zwölf Farbfilter helfen, die Kraftzentren entlang der Wirbelsäule zu aktivieren. Die „nach Meisterlehren“entwickelte Farblampe ist mit der „Pyramidenkraft“durch einen Aufsatz nach „Cheops-Maßen“verstärkt. Sie eignet sich „für Heiler und interessierte Laien“. Kostet 228 Mark in stoßsicherer Box – Selberbasteln ist billiger.

Die von innen beleuchteten Salzkristall-Klumpen sorgen laut Hersteller für ein ausgeglichenes Ionenverhältnis in der Raumluft, was gesundheitsfördernd sei. Außerdem soll das sanft schimmernde Licht flatternde Nerven beruhigen. Sieht nett aus, aber Vorsicht, wenn die Haustiere auf den Geschmack kommen.

Die Vision einer ehemaligen Apothekergehilfin versteht sich als ganzheitliche Heilmethode. Der Klient wählt aus knapp 100 zweifarbigen Fläschchen aus einer Öl- und einer Duftessenz eine ihm sympathische Farbe aus. Die Essenz wird auf Stirn, Nacken und erkrankte Körperstellen aufgetragen, wodurch löcherige Auren wieder hergestellt werden.

Berater und Therapeuten sagen Ihnen, wohin Sie die Fläschchen stecken können, wenn es nicht funktioniert.

Hopi-Indianer und asiatische Heiler sollen damit bereits Migräne behandelt haben. Die etwa 15 Zentimeter hohen Kerzen (siehe Foto) werden ins Ohr gesteckt und sodann abgefackelt. Die Methode soll bei Kopferkrankungen aufgrund von Störungen im Bereich der Lymphe helfen, bei Mandelentzündungen, Hals- und Zahnschmerzen, bei Stirn- und Nebenhöhlenvereiterungen, bei Ohrgeräuschen, Hörschwäche oder Gleichgewichtstörungen. So verspricht es das Faltblatt.

Bauchschmerzen verursacht diese Aufzählung dem Hamburger Hals-Nasen-Ohrenarzt Hennig Brunckhorst. „Ebensogut kann man sich auch Wunderkerzen ins Ohr stecken“, kommentiert er prosaisch. „Rein technisch gesehen kann ein erzeugter Unterdruck über das Ohr nicht einmal gegen Migräne funktionieren.“Die Hopi-Indianer sollen sich übrigens schon dagegen verwahrt haben, mit diesem Produkt in Verbindung gebracht zu werden. Auch Kennern der traditionellen Medizin aus China, Tibet und Indien ist die Ohrkerze unbekannt. Kosten pro Stück: zwischen sieben und acht Mark.

Prüfungsstreß? Zwei bis drei Löffel dieser Mikroalge steigern die Gehirnfunktion um 70 bis 80 Prozent. Laut Produktinformation will die Wunderalge auch „antidepressive und andere gute, heilsame Effekte haben“. „Ein vierjähriger sprachloser Patient, der als Autist diagnostiziert worden war, begann nach der Einnahme von AFA (Aphanizomenon Fos Aquae = latein. Name der Alge) vier Wochen später zu sprechen.“Auch Alzheimer-Patienten soll geholfen werden.

Unverantwortlich findet der Stuttgarter Tumorspezialist Kurt Schumacher solche Versprechungene. „Alles Quatsch“, sagt er lapidar. Fast alle Pflanzenstoffe stimulierten das Immunsystem, dadurch könne es aber nicht „gestärkt“werden, so der Mediziner. Billiger und ebenso effektiv sei grüner Salat.

„Unbegrenzte Lebenskraft durch Tachyonen“. Mit dieser kosmischen Urenergie sind Produkte für Mensch und Tier aufgeladen. Vom Augenkissen (152 Mark) und Haarwasser (128 Mark) bis zur Einlegesohle „Happy Souls“(88 Mark) ist alles mit dem „fundamentalen Baustein der Schöpfung“durchtränkt. Während Herrchen die 980 Mark teure tachyonisierte Seidendecke auf sich einwirken läßt, kann Hassos Gesundheit durch die „Life Capsule“für 79 Mark gestärkt werden.

Tachyonen, so die Hersteller, unterstützen das Immunsystem, helfen, den Körper nach Chemotherapie oder Bestrahlung wieder aufzubauen . Die spezielle Kleidung soll gleich einer Antenne dem Körper die Lebensenergie „in konzentrierter Form zugänglich“machen.

Zwanzig farbige Karten gegen das Böse in der Welt – nur Vodoo ist schöner. Die Karten schützen vor schädlichen Energien, gold- und indigofarbene beispielsweise sollen bei Asthma helfen. Droht Knochenschwund, greife man zu Rot/Orange oder Grün, alternder Haut stemmt sich Violett entgegen: „Schlafen Sie mit der Karte unter dem Kissen.“Bei Nahrungsmittelallergie „legen Sie das Essen auf die große Karte“.

Das Metall gibt laut Beipackzettel negative Ionen ab. Forschungen der Nasa bestätigen angeblich, „daß dies unser tägliches Wohlbefinden, unsere Gefühle und unsere Entscheidungsfähigkeit positiv beeinflußt“. Damit kein Energie-Verschleiß auftritt, müssen die Metallkärtchen regelmäßig unter fließend Wasser gereinigt werden.

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