: Was treibt ein Bagger im Hafen?
■ Spannendes Kurzfilm-Set heute im Kino 46, komponiert vom Zeitraffer H.-J. Hofmann
urzfilm-Sessions enden stets in wunderbarem cerebralen Synapsenchaos. Das wissen alle Besucher von Kurzfilmfestivals, egal ob in Oberhausen, Clermont-Ferrand, Hamburg oder Stuttgart. Was soll das Hirn schließlich auch anstellen, wenn innerhalb von lausigen ein oder zwei Stunden eine Dokumentation über ein Stahlwerk und eine über die ästhetische Wechselwirkung von Regentropfen und Autolack auf das arme Ding einprasseln, die eine oder andere klamaukige Genre-Verhohnepipelung dazwischengestreut wird, vom Stummfilm über 50er-Jahre-Krimi bis zum Horrorfilm, in barschem Wechsel mit subtilen Sozialstudien? Natürlich kollabiert es lustvoll – so als befände es sich auf Weltreise im Zeitraffer. Das Kino 46 holt sich heute abend diese Art von Festivalstimmung ins Haus. Film-DJ ist Hans-Joachim Hofmann.
Prädestiniert für diese Aufgabe ist er durch seine fulminante (leider private) Kurzfilmvideothek und sein eigenes kurioses Film÷uvre mit einer gewissen Vorliebe fürs Zeitraffen (und -stretchen).
Wo das Leben im Viertel am wildesten pulsiert und die Unord-nungsdichte ins Unermeßliche steigt, da liegen, vermümmelt in einem malerisch-desolaten Barackenhinterhof, das „Fehrfeld-Studio“von Ali Eichelbach und Hans-Joachim Hofmann. DAS (übrigens auch das einzige) Aushängeschild des Bremer Experimentalfilms lebt die schönste Übereinstimmung zwischen location und Ästhetik. Die 1986 von sechs Aufbruchswilligen ins Leben gerufene und 1998 von zwei Zähen am Leben gehaltene Künstlergemeinschaft produziert filmische Hymnen an den Widerspruch. Zum Beispiel zwischen Bild und Ton. Hofmann ist mittlerweile von Beruf HfK-Dozent, von Berufung aber noch immer Reisender. Zwischen Nepal und Frankreich klaubt er sich sein Bildermaterial zusammen. Zurück im Fehrfeldchaos entdeckt er hinter den naturgemäß immer unbefriedigenden wirklichen Geschichten bunte mögliche Geschichten. Warum er das tut? Wahrscheinlich, weil wir keineswegs in der besten aller möglichen Welten leben, sondern diese herbeifabulieren müssen.
Frage: Was treiben Bagger in einem bretonischen Hafenbecken? Realitätssinnige Antwort: Schlamm ausbaggern. Fehrfeldantwort: Es sind Alienwesen, die verzweifelt nach einem verloren gegangenen Stöpsel suchen; schließlich muß verhindert werden, daß die Weltmeere auslaufen wie die Badewanne zuhause. Und schwups ist eines von zehn „tiny poems“erzählt. Ein anderes erzählt von einem philosophischen Busfahrer in Nepal, ein drittes von Gerüchteschüren in Spanien. Auch dröges Wochenschaumaterial wird von Hofmann fachgerecht tranciert und zu kruden s.f.-Geschichten zusammenfantasiert.
Mit seinen realismuszersprengenden Filmen tourt Hofmann durch alle Kontinente – dank Goethe-Institut. Um sich zu revanchieren holt er jetzt die ganze Welt, brasilianische, kasachstanische und australische Filme, ins Kino 46. Zu sehen sein wird der überaus seltsame Dokumentarfilm „Regen“(1957), der seinem feuchten Sujet nicht mit naturkundlichem Ernst, sondern mit poetisch-assoziativer Freiheit hinterherforscht. Wolf Hart, der große, alte Mann des deutschen Dokumentarfilms, wurde dafür mit Preisen überschüttet, darunter die „Ehrenurkunde für den besten deutschen Kulturfilm“– entzückend.
Der beste Kurzfilm aller Zeiten ist dagegen zweifelsohne der brasilianische Kurzfilm „Insel der Blumen“. Was als knallig-skurriles Spiel mit Lexikon-Definitionen beginnt, kippt in den letzten Filmsekunden sehr überraschend um in ein melancholisch-herzergreifendes Elendszenario. Lustig-zwanglos hampelt der Film zwischen amüsanten familiären und wirtschaftlichen Szenen hin und her – und ehe man sich's versieht, schließt sich alles zum Geld-Produktivkraft-Mehrwert-Kreislauf, wie ihn Marx nicht klüger hätte analysieren können. Hura, intelligente politische Kunst ist doch möglich.
Vor diesem Meisterwerk wird in typischer Kurzfilm-Kontrast-Dramaturgie ein echter Naturfilm gezeigt – über das Leben jenseits des Polarkreises. Ein radikaler Zeitraffer erzeugt ein gottgleiches Lebensgefühl: Wolken und Wasser kommen und gehen. Menschen erscheinen allenfalls als flüchtige Tupfer, bunt, aber unbedeutend.
Kein Kurzfilmprogramm kann natürlich ohne liebliche Anti-PC-Gemeinheiten auskommen. Zu diesem Zweck darf in einem norwegischen Film ein Bauarbeiter auf höchst abwechslungreiche Weise mehrmals vom Dach fallen. Erstaunlich, wie schnell man via Film hin- und hertorkeln kann zwischen tiefstem Mitleid und reiner Schadenfreude. Eine Schule der Flexibilität. bk/F.: Fehrfeld-Studios
Kino 46, 20.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen