■ Vorschlag: Liebe in den Zeiten von Aids – „Alive and Kicking“ in diversen Kinos
Der eine ist ein Schönling, hochgewachsen, muskulös, sexy. Manchmal etwas eitel, oft auch arrogant, doch sein keckes Lächeln läßt das schnell vergessen. Der andere hat zwei der drei „Bs“, von denen die Autoren schwuler Kontaktanzeigen nichts wissen wollen: einen Bauch und einen Bart. Allein die Brille fehlt. Der eine, Tonio mit Namen, ist Tänzer, der andere, Jack, bezeichnet sich in zynischen Momenten – und davon gibt es viele in seinem Leben – als Seelenklempner. Tonio hat Geliebte, Freunde und Kollegen an die Krankheit verloren, Jack arbeitet in einer Londoner Aids-Beratungsstelle. Tonio hat das Virus, Jack nicht.
Wie sich allen Unterschieden zum Trotz eine Liebesbeziehung zwischen den beiden Männern entwickelt, das erzählt Nancy Mecklers Film „Alive and Kicking“. Die Geschichte hat alle Zutaten, die ein Rührstück braucht: die Liebe im Angesicht des drohenden Todes, die Selbstverausgabung des Künstlers, den makellosen Körper, der dem Verfall geweiht ist. Doch obwohl Kitsch und Sentiment aus nächster Nähe herüberwinken (man denke nur an „Philadelphia“, worin das Thema Aids hollywoodgerecht serviert wurde), widersteht Meckler der tränentreibenden Versuchung. Sie klopft das triste Sujet auf dessen komische Seiten ab und wird fündig. Wie Tonio in einem Club zahlreiche Annäherungsversuche kontert, wie er und Jack sich nach hitzigen Rededuellen ein ums andere Mal zusammenraufen, das hat Verve und Wortwitz einer bösen Komödie. Dabei ist durchaus zu spüren, daß Meckler, die Schauspieler und auch Drehbuchautor Martin Sherman vom Theater kommen. Das große Gefühl, die große Geste, der große Auftritt – alles, was eher an Bühnen- denn an Filmdramaturgie erinnert, ist in „Alive and Kicking“ vorhanden. Der theatralische Impetus bleibt indes nicht ungebrochen. Denn Meckler pflegt einen genauen Blick auf den Alltag mit Aids, auf die Dynamik einer Beziehung, in der einer den anderen überleben wird, auf eine Sexualität, bei der Bedrohung und Erfüllung nah beieinander liegen. Und schließlich auch darauf, daß die Krankheit längst bürokratisiert worden ist, daß, wo Anteilname gefordert wäre, Formulare warten. Cristina Nord
Xenon, Hackesche Höfe, Moviemento, Termine siehe cinema-taz
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