Schriften zu Zeitschriften: Prinzip Crossover
■ „Meteor – Texte zum Laufbild“, die famose Film- und Medienzeitschrift aus Wien
Nicht die erwartbaren schönen überflüssigen Morde sind Alexander Horwath in seinen Überlegungen zu Quentin Tarantinos neuem Film „Jackie Brown“ die Rede wert. Es ist die Autonomie, die Tarantino gegenüber dem üblichen Casting- Procedere im US-amerikanischen Kino wahrt: „Wie Martin Scorsese hat er sich mit ,Restaurierungen‘ einen Namen gemacht. Aber seine cinephile Praxis richtet sich weniger auf einzelne Filme als auf Personen. Er versucht, ganze Karrieren zu restaurieren.“
Bei John Travolta funktionierte das bekanntlich schon fast zu gut. Die Frage, warum Tarantino mit dem Liebespaar Pam Grier und Robert Foster nun der perfekte Coup gelungen ist, macht „Les Flaneurs du Mall“ zu einer kurzweiligen und doch dichten Filmlektüre. Die Notizen zu den Müßiggängern in der Shopping Mall finden sich in Heft 12 der Wiener Film- und Medienzeitschrift Meteor – Texte zum Laufbild.
Sie sind keinesfalls so angestrengt, wie der Titel es suggerieren könnte. „Texte zum Laufbild“, das klingt wie „Texte zur Kunst“ – wie der Titel jener Kölner Kunstzeitschrift, die es sich zum Programm gemacht hat, an den Kunst- und Theoriediskurs anzuknüpfen, der in den angelsächsischen Ländern existiert. Während sich die Kölner des öfteren schwertun, den Metatext einigermaßen unverschwiemelt an den Mann und die Frau zu bringen, ist das ganz offenkundig eine der leichtesten Übungen von Meteor. Sollte es ausgerechnet daran liegen, daß die Rede von Dekonstruktion, Gender studies, Medientheorie, vor allem aber vom Crossover zwischen Kunst, populärer Musik, Mode und Film, im Rückgriff auf die nicht zu Ende geführten Debatten der 60er Jahre erfolgt? Wie sie in der „Filmkritik“, die Anfang der 80er Jahre ihr Erscheinen einstellte, nachzulesen wären? Auf jene Ende der 50er Jahre gegründete Zeitschrift beruft sich Claus Philipp, Filmkritiker beim Standard und Initiator von Meteor, als deutschsprachiges Vorbild.
An diese vergangenen Zeiten scheint auch ein Briefwechsel zum pathosverdächtigen Thema Cinephilie anzuschließen. Doch der Ton von Meteor ist ein ganz anderer. Wenn Cinephilie nicht Filmkritik im geläufigen Sinn ist, sondern „eher Autobiographien im Dialog mit dem Kino“, wie Bert Rebhandl schreibt, dann pflegen die „Kinder der 60er Jahre“, die diesen Briefwechsel führen, einen erstaunlich coolen, kritisch-distanzierten und dabei lebhaften Stil; unbeeindruckt von den Vorgaben der alten Filmbuffs und ohne die Streberattitüde mancher Poptheoretiker verteidigen sie am Ende auch die falsche Art der Cinephilie bei Quentin Tarrantino, also den hybriden Konsum von Kino, Rock- und Heimvideo. (Fehlte eigentlich nur noch, daß sie darauf hinwiesen, daß Konsum nun mal der Anfang aller Kennerschaft ist.)
Neben dieser Diskussion, die in Zusammenarbeit mit der ehemals von Serge Daney gegründeten französischen Filmzeitschrift Trafic zustande kam, gibt es regelmäßig Beiträge zur Filmgeschichte, wie zur Film- und Medientheorie; vor allem überzeugen aber die ausführlichen Dossiers, sei es zu Österreich und der wahren Geschichte des österreichischen Kinos, sei es zu Film, Kunst und documenta X, zu David Lynch oder zur allseits geliebten Schlinge. „Erzählen Sie doch einmal über MUTTERS MASKE. Was ist das für ein Film?“ Man muß nur noch den inneren Alexander Kluge anstellen, den besonderen Sound dieser hohen, hartnäckig sanften Stimme hören, und gleich kann man sich beim Lesen des Interviews das Szenario imaginieren, wenn Christoph Schlingensief dann antwortet: „Das ist mein Remake von OPFERGANG (1944) von Veit Harlan.“
Das „Textlabor“, als das sich Meteor von Anfang an begriff, baut auf großer organisatorischer Disziplin auf. Allwöchentlich trifft sich die zwölfköpfige Redaktions- und Arbeitsgruppe, um die Beiträge internationaler Autoren intensiv zu diskutieren. Das hat auch Quereinsteiger aus der Literatur für Meteor motiviert. Elfriede Jelinek lieferte Notizen zu Terminatoren und anderen Kraftsportlern, zu Sigourney Weaver und und den Alien-Filmen. Und Marlene Streeruwitz, die sich immer deutlicher als die Autorin mit der gegenwärtig innovativsten Herangehensweise an das Phänomen Kino erweist, leitet ihre Anmerkungen zum Kitsch von Xaver und Ulli Schwarzenberger mit einer grundsätzlichen Kritik am aktuellen Kino ein: Filmemachen sei mehr als alle anderen Äußerungsformen Leben gebend, je realistischer also der Anspruch eines Films, um so schöpferähnlicher wird der Regisseur oder die Regisseurin. Nun wird freilich im Film hauptsächlich gestorben. Das Sterben ist ein Ausweg, die einfachste Flucht vor dem potentiellen Anspruch des Mediums. „So. Als würde die Kraft der Regie nicht für das Leben, dessen Komplexität reichen. Als müßte sie sich auf das schmale Ende konzentrieren.“ Das hilft zu verstehen, warum es ausgerechnet so oft die Familie ist, die herhalten muß, um das große Shoot-out zu rechtfertigen. Nicht, um der Familie endlich den Garaus zu machen. Nein, im Gegenteil, zu ihrer (ideologischen) Verteidigung.
Meteor verdankt sich dem hundertsten Geburtstag des Kinos, der in Österreich die Subventionstöpfe füllte und den Anstoß zu seiner Gründung gab. Acht Ausgaben im zweimonatigen Erscheinungsrhythmus wurden seit Dezember 1995 mit Bundesmitteln finanziert. Ursprünglich auf die Laufzeit eines Jahres beschränkt, brachte die unerwartet hohe Zahl von Abonnenten und Lesern das Redaktionsteam unter Zugzwang. Der Erfolg verdammte zum Weitermachen. Neue Partner brachten das Geld für weitere vier Hefte. Neuerdings sind Bundesmittel im Gespräch und vierteljährliches Erscheinen. Brigitte Werneburg
Meteor c/o PVS Verleger, Friedmanngasse 44, A-1160 Wien, Internet: http://www . quintessenz.at/meteor
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