: Die Weltrevolution klappte nur in Schiffbek
Der Hamburger Aufstand vor 75 Jahren: Vom Verlauf einer kommunistischen Erhebung im Oktober 1923, die nach nur drei Tagen scheitern mußte, weil ihr die erhoffte „revolutionäre Basis“ fehlte ■ Von Kay Dohnke
Das Ziel hieß Sowjetdeutschland, und der Herbst 1923 schien turbulent genug, um den Hebel des Umsturzes anzusetzen: Arbeitslosigkeit, rasende Inflation und kaum bezahlbare Lebensmittel lösten immer wieder Generalstreiks aus, während der Rückhalt der KPD in der arbeitenden Bevölkerung schnell wuchs. Im September beriet das Moskauer Zentralkomitee Pläne für einen bewaffneten Umsturz und bewilligte Gelder zum Ankauf von Waffen. Verschiedene Bezirksgliederungen der Großstädte bekamen Militärberater zugewiesen.
Der Aufstandsversuch an der Elbe erfolgte dann spontan: Mitte Oktober kam es nach dem Verbot kommunistischer Zeitungen zu Unruhen in Sachsen, wohin am 21. Oktober starke Reichswehrverbände entsandt wurden. Als am Folgetag der Brotpreis um 200 Prozent stieg und Lohnzahlungen ausblieben, traten fast alle Betriebe im Hamburger Hafen in den Streik. Da der neue Chef der Ordnungspolizei erst einen Tag im Amt war, schien der Zeitpunkt für die Revolte günstig – unter 50.000 Arbeitslosen und zahllosen Kurzarbeitern würden genügend Proletarierfäuste zu den Waffen greifen. Ohne Abstimmung mit Moskau begannen daher die Aktionen des 23. Oktober.
Während Kampfgruppen der KPD im Morgengrauen an strategisch wichtigen Stellen den Verkehr blockierten, drangen kleine Trupps dürftig ausgerüsteter Männer in Polizeiwachen ein, überrumpelten die diensthabenden Beamten, brachten Gewehre und Munition in ihren Besitz. Danach verschanzten sie sich auf umliegenden Hausdächern. Was anfangs in Eimsbüttel und Barmbeck (damals noch mit ck geschrieben), in Winterhude und Langenhorn funktionierte, scheiterte in anderen Teilen der Stadt: Die Zahl der Angreifer war zu gering, um gegen alle Wachen gleichzeitig vorzugehen; die alarmierten Polizeiposten leisteten bald heftigen Widerstand.
Der Plan der KPD, die Hansestadt abzuriegeln und Polizei und Reichswehr auszuschalten, stockte bereits im Ansatz. Nur an wenigen Stellen waren Straßen, Eisenbahnlinien und Telefonleitungen ins Umland tatsächlich unterbrochen worden. Und fast überall gelang es der bald verstärkten Sicherheitspolizei, den Aufstandsversuch bereits binnen weniger Stunden durch rücksichtslosen Waffeneinsatz zu beenden. Allein in Barmbeck konnten sich die roten Kämpfer auf den mehr als 50 Barrikaden länger behaupten und fanden breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Als Schießerei und Panzerwageneinsatz am Abend des 23. Oktober noch immer erfolglos geblieben waren, riegelte die Polizei den Aufstandsbezirk zwischen Drosselstraße und Volksdorfer Straße, zwischen Pfennigbusch und Hamburger Straße über Nacht ab und beschränkte sich auf die Kontrolle der Passanten.
In dem kleinen Ort Schiffbek – heute Billstedt – waren die Kommunisten anfangs besonders erfolgreich. Unterstützt durch Genossen aus Öjendorf und Kirchsteinbek entwaffneten sie außer dem Polizeiposten auch die Wache in Billbrook, besetzten die Post, verhängten Zensur über die lokale Zeitung und bereiteten die Ablösung des Magistrats vor. In einem Aufruf feierte der provisorische Vollzugsausschuß des Ortes seinen Sieg: „In ganz Deutschland ist die Arbeiterschaft in den Kampf um die Macht eingetreten. Arbeitsbrüder! Der Sieg ist unser! Es lebe Sowjetdeutschland! Es lebe die Weltrevolution!“ Doch schon am 24. Oktober fand die neue Weltordnung in Schiffbek ein schnelles Ende: Binnen einer Stunde überrumpelten starke Polizeikräfte den Ort und verhafteten zahlreiche Aktivisten und Verdächtige.
Auch in Barmbeck endete der Aufstand am selben Tag: Mit Hilfe von Luftaufnahmen konnte die Polizei die Position der Verteidiger feststellen. Eine Übermacht von Beamten überwand mit Maschinengewehren und Panzerfahrzeugen gezielt Barrikaden und Schützengräben. Haussuchungen und eine Verhaftungswelle folgten. Am Vormittag des 25. Oktober zerschlug die Staatsmacht schließlich eine letzte kommunistische Widerstandsstellung in Bramfeld, wohin sich Mitglieder der Kampftrupps zurückgezogen und neue Barrikaden errichtet hatten.
Nach 50 Stunden war der Hamburger Aufstand beendet: Der Revolutionsversuch hatte auf Seiten der Polizei 17 Tote und 69 Verletzte gekostet; unter den Aufständischen, aber auch Unbeteiligten verloren etwa 90 Menschen ihr Leben, 270 erlitten Verwundungen.
Schnell wurde der restlos mißglückte Hamburger Aufstand zum Mythos erhoben: Hamburgs KPD-Chef Ernst Thälmann verklärte den Kampf gegen die staatliche Übermacht, und die russische Autorin Larissa Reissner rühmte den „heldenhaften Kampf“ in einem phantasievollen Buch. Bei realistischer Betrachtung bleibt aber die Erkenntnis, daß die KPD die „revolutionäre Ausgangslage“ völlig falsch eingeschätzt hatte. Die siegreiche Revolution von Arbeitern und Soldaten vom November 1918 ließ sich nicht wiederholen, der vorschnell angezettelte Hamburger Aufstand mußte scheitern.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen