: „Wir wickeln Zauberwatte um unsere Wunden“
Als Lissy die Handschellen erwähnte, wollte Pit sie heiraten. Thomas sucht im Wald passende Orte, an denen er Sophie fesseln kann. Sadomasochistische Liebespaare beschäftigen sich mehr mit Sex als andere. Doch wie lassen sich Liebe und Hiebe in den Alltag integrieren? ■ Von Barbara Dribbusch
Lissy und Pit
Im Badezimmer steht der Altar der Liebe. Ein Tischchen mit roten Schaumstoffherzen, dazu eine Karte „I love you“. Getrocknete Blätter duften, eine Plastikrose steckt in der Vase, ein Briefchen von Pit: „Unechte Rose, dafür aber wahre Liebe.“ Lissy sei die Frau seines Lebens, sagt Pit. Er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht, sofort nachdem sie ihm beim ersten Spaghettiessen die Sache mit den Handschellen erzählte. Noch bevor sie das erste Mal miteinander schliefen. Pit ist romantisch. Es war schwer für ihn gewesen, eine Frau zu finden, die ihn fesselt.
Im Schlafzimmer der Altbauwohnung in Berlin-Neukölln steht ein Himmelbett aus schwarzen Metallstäben. An einem Gitter an der Wand hängen Ledermanschetten, Stricke, Ketten, eine schwarze Perücke, hohe Stiefel und Peitschen wie Theaterrequisiten. Pit hat einiges davon selbst gebastelt. Besucher müssen die Schuhe ausziehen. „Wir sind sehr schmutzempfindlich“, sagt Pit. Der blasse 38jährige mit dünnrandiger Brille, blondgefärbten Haaren und schwarzen Klamotten würde gut als Jungautor in eine Szenekneipe passen. Pit geht nicht in Szenekneipen. Er ist Sprachenlehrer an einer Privatschule. Genau wie Lissy. Darüber haben sie sich kennengelernt, ungewöhnlich für die sadomasochistische Szene.
Lissy, meint Pit, sei seine „Sexgöttin“. Seit 18 Monaten sind sie zusammen, seit einem halben Jahr verheiratet. „Durch mich hat Lissy ihr Coming-out erlebt.“ Seitdem beschäftigt sich die 34jährige mit den langen roten Haaren und der hohen Kinderstimme mit der Frage, warum sie so ist, wie sie ist. Pit stellt sich die Frage schon seit vielen Jahren nicht mehr. „Deine Politik kannst du dir auswählen, deine Sexualität nicht.“
Niemand kann sich seine Träume aussuchen, aber Pit kann seine inszenieren. „Er denkt sich immer wieder etwas anderes aus“, sagt Lissy nicht ohne Stolz. Einmal in der Woche haben die beiden ihren „Aktionstag“. So wie andere Paare gemeinsam tanzen gehen. Pit saugt dann erst mal Staub in den drei Zimmern mit Kachelöfen, Flokatiteppich und Kuschelbär in der Ecke. Währenddessen verwandelt sich seine Frau im Bad in eine Märchengestalt.
Lissy stülpt sich die schwarze Perücke mit dem Pagenschnitt über, malt sich die Lippen rot und die Augen pechschwarz, schlüpft in den knallengen schwarzen Body, der die Brüste freiläßt, steigt in die schenkelhohen Stiefel. Sie ist die böse Fee. „Wir bauen uns eine ganz andere Welt“, sagt Lissy. Die Choreographie ist jedes Mal ein bißchen anders.
Pit zeichnet seine Fesselungen vorher auf, sie werden geprobt wie ein Theaterstück. Erst die Manschetten um seine Handgelenke, dann das Halsband, das Bändchen um die Genitalien, die Verbindung von Knöchel zu Halsfessel, die Ellbogen werden nach hinten hoch gezogen, der Knebel vor den Mund. Dann kommt die Peitsche. Nicht immer die schwere Bullenpeitsche, die richtig weh tut. An der Wand hängen auch sanfte, die eher streicheln und massieren.
„Gefesselt zu sein, das ist wie eine Befreiung vom Leben, man ist für nichts mehr verantwortlich“, schwärmt Lissy. Ab und zu schlüpft auch sie in die devote Rolle, „zur Entspannung“. Meistens aber nicht. Im Alltag sind sie gleichberechtigt. „Genörgel, wer den Abwasch macht, gibt es bei uns nicht“, lacht Lissy. Sie ist viel zufriedener, seit Pit die Domina in ihr weckte. Er glaubt: „Ich bin manchmal wie ein alter Teppich, der durchgeklopft werden muß.“
So wie damals. Seine Freundin hatte ihn nach einer aufreibenden SM-Beziehung verlassen. Danach konnte Pit keinen Lärm mehr ertragen. Die Bässe der Discomusik im Radio, das Dröhnen der Lastwagen auf der Straße zerlegten sein Hirn. Er suchte Zuflucht bei einer Domina und ließ sich „so richtig durchprügeln“. Als er mit blauen Flecken und roten Striemen auf die Straße hinaustrat, war alles friedlich wie unter frischgefallenem Schnee. „Die Welt war leise geworden“, erinnert sich Pit und fängt fast an zu weinen.
Wenn ihn laute Musik aus der Neuköllner Nachbarschaft nicht schlafen läßt, nimmt ihn Lissy noch heute bei der Hand, sie gehen sich beschweren. Er wiederum säubert ihre Schuhe vom Straßendreck, da ist sie überempfindlich. Die beiden sind ein gutes Team. In SM-Klubs gehen sie nur selten. „Wir sind nicht typisch für SMler“, glaubt Lissy.
Sie sprechen öfter über ihre Sexualität als andere Paare. Vielleicht, überlegt Pit manchmal, kommt seine Veranlagung von seiner Stiefmutter, die böse, dann plötzlich wieder lieb sein konnte, wie Lissy während der Aktionen. „Sie hat meine Sexualität geprägt“. Vielleicht, rätselt Lissy, reagiere sie mit den Schlägen ihre Aggressionen gegenüber ihrem Vater ab. „Der war so gefühlskalt“. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Am Aktionstag jedenfalls verwandelt sich der Schmerz in Lust. „Wir wickeln Zauberwatte um unsere Wunden“, sagt Pit. Das Leben ist ein Märchen.
Schon als Kind hat er oft Masken getragen und sich für sein Leben gern fesseln und einschließen lassen. Als ihn die Nachbarskinder im Alter von elf Jahren in einen umgestülpten Laufstall sperrten, fauchte und brüllte der kleine Pit wie ein Raubtier. „Ich wollte, daß die mich nicht mehr herauslassen.“ Heute trägt Lissy ein Tuch mit Leopardenmuster um den Hals. In der Wohnung liegen Kissen mit Leomuster auf den Stühlen, sogar auf den Küchenschrank hat Pit mit Ölfarbe das Raubtiermuster getupft. Und als er das erste Mal bei Lissy war, „da ist mir sofort ihr Leosofa positiv aufgefallen“. Pit achtet auf die kleinen Zeichen.
So war es auch, als Lissy damals die Sache mit den Handschellen erwähnte. Lissy war frisch in Pit verknallt. Er hatte Jahrzehnte wechselnder SM-Lieben hinter sich, mit Kati, mit der er sich immer gestritten, mit Gudrun, die nur ihm zuliebe beim SM mitgemacht hatte. Beim Abendessen in der Küche schilderte Lissy, daß sie mit ihrem Exfreund Stefan nur einmal und aus Neugier Fesselsex probiert hatte. In Pit gingen tausend Glühlampen an. Er fragte Lissy, ob sie sich „so etwas ähnliches“ auch künftig vorstellen könne. Sie sagte ja.
Thomas und Sophie
Die schwarze Schrankwand hat viel Mühe gekostet. „Ein paar Wochenenden haben wir daran herumgebaut“, berichtet Sophie. Die zwei hohen schwarzen Türen, groß wie Zimmertüren, lassen sich herausnehmen und beiseite stellen. Dahinter erscheint das schwarze, x-förmige Andreaskreuz zum Anketten. Links hängen die Peitschen, Stricke, der Rohrstock und ein Teppichklopfer. Rechts ein schwarzer Lederbock zum Festschnallen, höhenverstellbar. Alles gute Arbeit, hier in der Dachwohnung eines sanierten Altbaus in Berlin-Reinickendorf. Aber wie das oft so ist mit Einrichtungsgegenständen, „mit der Zeit verliert es seinen Reiz“, sagt Sophie.
Seltener als früher schiebt Thomas die schwarzen Türen auf, stellt die Scheinwerfer ein, legt Choralmusik auf und kettet Sophie am Kreuz fest. „Die fehlende Anonymität, das ist schon ein Problem für den Sex, wenn man länger zusammen ist“, klagt Sophie.
Seit zweieinhalb Jahren kennen sich die beiden, seit anderthalb Jahren wohnen sie zusammen in der Dreizimmerwohnung mit Schrankwand, grauschwarzen Polstermöbeln und Aquarium. Thomas ist 31 Jahre alt, Sozialarbeiter, glattes Gesicht, groß und kräftig, in dezente dunkle Hose und teures Markenhemd gekleidet. Sophie, 36 Jahre alt, Gymnasiallehrerin, wirkt warmherzig mit ihrem fülligen Körper, den dunkelroten Locken, braunen Augen und dem Frankfurter Dialekt. Sie weiß, was sie will.
Sie läßt sich von Thomas während der Sexsessions mit dem Rohrstock oder der Peitsche schlagen, kniet mit verbundenen Augen vor ihm, während er sie beschimpft und durchprügelt. „SM ist für mich eine Gegenwelt“, sagt Sophie, „seitdem ich SM praktiziere, kann ich mich beruflich besser durchsetzen.“ Im Alltag, betont sie, „würde ich mir von Männern nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“.
Mit feministischen Argumenten gegen Masochistinnen kann Sophie nichts anfangen. „SM ist Schweinkram, das ist gerade der Reiz. Es ist Schmerz, den ich hinterher als Lust empfinde.“ Sophie, findet Thomas, sei schon immer etwas mehr „auf der intellektuellen Schiene“ herumgeritten. „Eigentlich ist sie diejenige, die bestimmt.“ Wenn sie die Augen verbunden hat und nicht weiß, was Thomas gleich mit ihr machen wird, das „kickt“ sie. „Ich muß mir immer was Neues einfallen lassen“, sagt Thomas und hört sich plötzlich an wie ein überforderter Ehemann, dessen Frau sich ständig neue teure Fernreisen wünscht.
Früher, als sich die beiden nur am Wochenende sahen und noch nicht zusammenlebten, „da konnte ich leichter den Schwarzen Ritter machen“. Heute ist das mit dem Kick so eine Sache, wenn er müde von der Arbeit nach Hause kommt und am Computer herumspielen will. Er kann gut nähen, auch das, so Sophie, „paßt nicht so ins Bild“.
„Suche dominanten Mann, Akademiker“, hatte Sophie vor drei Jahren eine Kleinanzeige getextet. Zuvor war sie mit einem Softie zusammen, damals in Frankfurt. Eine Liebschaft auf Gomera weckte die Masochistin in ihr. Der Mann fesselte sie an einen Stuhl, stellte sich ein paar Meter weiter weg und begann sie zu beschimpfen. „Ich merkte, wie es mich kickte“, sagt Sophie, „ich wußte plötzlich, es gibt noch etwas anderes als den üblichen Sex.“
Später hat sie wie alle SMler „in der Kindheit gewühlt, um irgendwas zu finden, warum ich so bin“. Sie fand nichts. Doch, widerspricht Thomas, viel von dem, wie sie sich verhalte, sei doch Rebellion gegen die Eltern, gegen den Vater. Der habe doch auch so eine markante Stimme gehabt und Probleme, Gefühle auszudrücken. „Da ist was Pathologisches drin, bei den Maso- Frauen.“ Er selbst sei kein Sadist, versichert Thomas, „ich stehe nur darauf, Macht auszuüben über die Lust des andern“. Er habe schon immer ein starkes Kontrollbedürfnis gehabt.
Als er das sagt, zaubert er einen Schweinchenblick in seine blauen Augen. Wenn er in die Sado-Rolle schlüpft, rutscht seine Stimme eine Tonlage tiefer, „das sind unsere Klickklacks“, das Signal zum Rollenspiel zu Hause. Niemals würde er mit Sophie eine Session starten, wenn er im Alltag wirklich sauer auf sie wäre. „Ich muß meine Aggressionen im Griff haben.“
Das strengt an. Thomas muß für Abwechslung sorgen. Im Sommer fährt er allein in den Wald, um eine geeignete Stelle für eine Session auszumachen. „Das muß ja vorbereitet sein, ich muß wissen, wo ich eine Plane hinlegen muß, wo ich sie festbinden kann.“ Zu den Sessions schleppt er dann sein Silberköfferchen mit wie einen Werkzeugkasten. Darin liegen Stricke, Handtuch, Peitsche und Kerzen. Und wenn Sophie nach den Sessions zu erschöpft ist, „dann muß ich alles wieder alleine einpacken“.
Sophie wiederum erinnert sich nur ungern an die Idee vom SM- Adventskalender. In jeder der 24 Täschchen steckte ein Zettel mit einem Befehl vom Gebieter. An einem Tag mußte sie in den Stinnes-Baumarkt fahren, sich eine lange Kette kaufen, diese um den Leib wickeln, mit zwei Schlössern sichern und sich dann in der Toilette in der Markthalle selbst ablichten. Das Fotografieren im Markthallenklo wurde ihr jedoch zu heikel, wegen des Kettengerassels. Sie wich auf eine Wall-City- Toilette aus. Nach einem anstrengenden Arbeitstag war all das zuviel: Als sie mit dem Polaroid-Foto erschöpft zu Hause eintraf und Thomas die Ketten unterm Pulli mit den Schlüsseln öffnete, „war die ganze Stimmung futsch“, berichtet sie. Für Außenstehende klingen solche Geschichten bizarr, wie ein Traum, der von tief unten kommt. Die beiden gehen neuerdings öfters aus, in die Bar Extrem. Da sind noch viele andere Männer. Sophie läßt sich mit verbundenen Augen breitbeinig auf einen Bock schnallen und beschimpfen. Wie viele Männer zuschauen, weiß sie nicht, auch das ist das Reizvolle.
SM und eine langjährige Beziehung seien eigentlich unvereinbar, meint Thomas. Bei anderen Paaren habe sich SM „ausgeschlichen“, spätestens, wenn Kinder da waren. Ein Paar hätte sich Hunde angeschafft, viele hätten sich getrennt. Doch eine Trennung ist immer schwer, „irgendwie ist man doch aufeinander eingespielt“.
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