piwik no script img

Exkremente & Experimente

Nach wie vor aktuell: die politische, oft pornographisch genannte Kunst von Jean-Jacques Lebel  ■ Von Hajo Schiff

Im Gitterkäfig wird der Künstler am Eröffnungsabend durch das Kunsthaus gefahren, ein Saxophon klagt, und der Gefangen brüllt mehrsprachige Poeme: „Bazookas in Bauhaus Bazars!“ Und das gutbürgerliche Publikum klatscht. Ob nun die alten Anliegen der Happening-Veteranen gesiegt haben oder bloß das Achselzucken, hatte vorher schon der stets streitbare Ex-Direktor der Hamburger Kunsthalle, Werner Hofmann, gefragt. Er konnte sich noch an Zeiten erinnern, in denen Verweise auf den Pariser Mai nicht von den diplomatischen Vertretungen der französischen Republik gefördert wurden.

Denn der, der da im Käfig mit 63 Jahren mehr Energie versprüht, als ein ganzer Trupp schicker junger In-Künstler zusammen, ist der zum Repäsentanten seiner Zeit aufgestiegene Neo-Dadaist Jean-Jacques Lebel aus Paris. Einst wurde er für seine freien, als pornographisch eingestuften Happenings ins reale Gefängnis gesteckt, sein mit fünf Künstlerfreunden gegen den Algerienkrieg gemaltes Großbild „Grand Tableau Antifasciste Collectif“ wurde 1961 beschlagnahmt und blieb für 24 Jahre in der Mailänder Ques-tur weggesperrt. Protestvermarktung schon vorausahnend entwarf er in der selben Zeit ein Plakat für „Greve general“ als Parfüm: Kommentar Lebel: „Kunst ohne Generalstreik ist Prostitution“.

Es gibt viel zu erzählen zum Werk Lebels, Geschichten aus aufsässigeren Zeiten. Aber: „In Frankreich ist man schnell auf der Bühne, wenn man auf den Barrikaden ist – und umgekehrt“, wie Werner Hofmann bemerkte. Doch es geht nicht nur um einen Verweis auf die hier im Norden etwas aus dem Blick geratene französische Kunst, noch nur um Aufarbeitung der Kunstgeschichte, es geht um eine nach wie vor aktuelle Kunstposition.

Aus Paris angereist mit einer großen Freundesgruppe, darunter Museumsdirektoren wie Jean-Hubert Martin, Verlegern wie Antonio Mazzotta und befreundeten Künstlern wie Err (dem isländischen Politkünstler, dem das Kunsthaus 1997 eine Ausstellung widmete), baute Jean-Jacques Lebel die Hamburger Station der Wanderausstellung mit auf und ergänzte seine stets in Wandlung begriffenen Objekte mit Kitschobjekten und Fundstücken vom Fischmarkt. Denn anders als bei den mit den Eltern befreundeten Surrealisten im New Yorker Exil seiner Kindertage und den Fluxuskünstlern der gemeinsamen Happening-Zeit, sind Lebels Objekte nicht in musealen Hallen eingefroren: Hartnäckig widersetzt er sich einem Ankauf seiner zentralen Poesiemaschine, der Assemblage „Portrait de Nitzsche“, da er die Arbeit seit 1961 für Ergänzungen und Veränderungen im direkten Austausch mit dem Publikum offen hält. Auch wenn manches über 30 Jahre alt ist, die Besucher sollen ohne Scheu benutzen, was der Künstler als Material zusammengestellt hat: Blashörner, Glocken, stille Briefkästen oder den auf Skiern mit Rollen montierten Stuhl mit einer Sitzfläche aus Glas – „für das dritte Auge“, wie Lebel erklärt.

„Wir sind hier im Kunsthaus, aber wir streben in die Straße, und es bleibt angesichts des Kommerzes in den Museen schon die Frage, wie wir wieder dahin kommen“ beschreibt Lebel das Dilemma der Kunst am Ende des für sie so erfolgreichen Jahrhunderts. Doch die Medien mit ihrer „Globotomie“ – dem Verlust des feineren Empfindens und der Assoziationsfähigkeit – sowie den Markt sieht Lebel als Feinde der Kunst: „Der Supermarkt macht aus Gold Scheiße.“ Und die und der Urin werden auch in seinen Arbeiten gerne zitiert. Eine einer Rembrandt-Zeichnung nachempfundene „Pisserin“ bringt die Künstlersignatur in leuchtend gelber Neonschrift hervor: Das ist nicht nur ein radikal antiklassischer Gestus, Ausscheidungen und der Wert von Sammlungen werden auch von der freudianischen Psychologie gerne in Zusammenhang gebracht. Kein Wunder, daß Lebel wie für Antonin Artaud auch für den befreundeten Psychiater-Philosophen Felix Guattari ein Monument entwarf.

Den Besuchern übergab Jean-Jacques Lebel mit einem weiteren Merksatz die Ausstellung: „Wir haben unsere Arbeit getan, jetzt sind Sie dran. Aber, bitte, nehmen Sie die Kunst nicht zu ernst!“

„Jean-Jaques Lebel – Bilder, Skulpturen, Installationen 1951 – 1998“: Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 11. April. Katalog: 228 Seiten, 42 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen