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Von Goethe geküßt

■ Mit der Ausstellung „Wa(h)re Originale“ klopft das Focke-Museum die Gebrauchskunst auf ihren Originalitätswert ab

Eine Tasse ist zunächst nicht mehr als eine Tasse. Es sei denn, der einzig wahre und echte Goethe hat an ihr genippt, als er sich, wie es ihm die Ärzte befahlen, als Kurgast im böhmischen Karlsbad in aller Herrgottsfrühe literweise heilendes Mineralwasser hinter die Binde kippte. Dann wird aus einer weißen, kitschig bemalten Allerweltsporzellantasse mit der Aufschrift „Souvenir de Carlsbad No. 6“ eine Reliquie der deutschen Hochkultur, die im Focke-Museum hinter die Vitrine kommt, versehen mit dem ehrfürchtigen Hinweis: „Goethes Karlsbader Trinkbecher.“

Warum das so ist, versteht kein normaler Mensch. Doch spätestens seit Mitte der 1930er Jahre, als Walter Benjamin seine bahnbrechende Studie „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ vorlegte, haben KunsthistorikerInnen einen Begriff für dieses eigentümliche Phänomen, das Alltagsgegenständen urplötzlich den spektakulären Weg ins Museum bahnt. „Aura“ ist das, was dem berühmten, aber hundsgewöhnlichen Duchamps-Urinal und den müffelnden Adidas-Turnschuhen eines Joseph Fischer entströmt und MuseumsbesucherInnen Gefühle verursacht, die ein gewöhnlicher Turnschuh ebenso wenig erzeugen könnte wie ein gewöhnliches Trinkglas.

Carsten Jöhnk, Organisator der Ausstellung „Wa(h)re Originale“, hat im Focke-Museum der Aura gleich einen eigenen Raum gewidmet. Umgeben von goethesken Trinkbechern, Zwetschgen-Halbschränken und bunt leuchtenden Vasen soll der Besucher erahnen, wie und auf welch unterschiedlichen Wegen aus einem Gebrauchsobjekt ein Kultobjekt, ein sogenanntes „Original“ werden kann.

So ist es der handwerklichen Meisterschaft des legendären Möbelbauers David Roentgen zu verdanken, daß ein aufwendig gearbeitetes Möbel die Aura eines Kunstwerks umgibt, die dem seriell produzierten heimischen IKEA-Regal von vornherein abgeht. Wie es gemacht ist, wer es in der Hand respektive am Mund hatte oder, wie anhand der ausgestellten Jugendstilvasen von Emil Gallé demonstrierbar ist, welche irrwitzigen Preise SammlerInnen zu zahlen bereit sind – derart eigentümlichen Prozesse verleihen Objekten der Dingwelt museale Originalitätswürde.

Daß den Museen selbst dabei zunehmend die Aufgabe zufällt, das „Original“ zu verteidigen gegen den Verfall und die unermüdliche Tätigkeit von FälscherInnen, zeigt die Ausstellung durch die Zurschaustellung der Arbeit ihres wissenschaftlichen Personals. Kommoden, Keramiken und Schränke aus vier Jahrhunderten, die RestauratorInnen zwecks Pflege und Erhalt des historischen Originals behandeln mußten, führen vor Augen, wie schwierig die Rede vom Original sein kann. Denn worüber reden wir noch, wenn ein von Holzwürmern zerfressenes Möbel restauriert wird mit dem Resultat, daß 50 Prozent der ursprünglichen Substanz ersetzt werden mußten? Bleiben immerhin noch 50 Prozent Original. Was nicht die Regel ist, wenn RestauratorInnen zur Sache gehen. Denn nicht selten verliert ein Objekt in den Händen eines Restaurators auch den letzten Rest an Aura, weil sich das spätbarocke Glas plötzlich als Produkt des 19. Jahrhunderts entpuppt oder die vom Museum bis dahin stolz präsentierte Chormantelschließe aus der Zeit um 1500 als Fälschung entlarvt wird, die der Werkstatt eines vor hundert Jahren tätigen kriminellen Goldschmiedes entstammte.

Doch nicht jeder Kopist ist notwendig ein Halunke. Im Historismus, so zeigen zahlreiche Exponate, wurde der Rückgriff auf Dekore und Formen zurückliegender Epochen unter dem Motto „Besser als das Original“ zur virtuosen Kunstform entwickelt. Und in der letzten Abteilung der Ausstellung lernen wir den Ort kennen, wo die Aura-Produktion für den Heimbereich vorbereitet wird. Im Museumsshop deckt sich der geneigte Besucher mit Espressolöffeln, Deckeldosen und Kissenbezügen ein, die täuschend dem Unikat hinter der Museumsvitirine ähneln und ihm das Gefühl vermitteln, ein origineller Mensch zu sein. – Erklärt uns dieser Vorgang nicht so ganz nebenbei auch den beeindruckenden Erfolg von Adidas? Franco Zotta

Die Ausstellung ist bis zum 19. September im Focke-Museum zu sehen und wird durch ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen ergänzt. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (36 Mark). Öffnungszeiten: Di 14-22 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr. Infos über die Vorträge kann man unter Tel.: 361 35 75 erfragen oder im Internet auf der Seite www.bremen.de/info/focke einsehen.

Mit der Eröffnung der „Originale echt/falsch“ in der Weserburg am heutigen Samstag um 19 Uhr sind die meisten Ausstellungen der „Originale“-Reihe der Bremer Museen parallel zu sehen. Originale gibt's in der Weserburg, dem Focke-Museum, Paula-Becker-Modersohn-Haus, Wilhelm-Wagenfeld-Haus und – in permanenter Ausstellung – im Übersee-Museum sowie ÜbermaxX

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