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Frankreichs Rechte auf rasanter Talfahrt

Die konservativen und liberalen Parteien stecken in einer tiefen Krise. Dissidenten der gaullistischen RPR streiten über die richtige Europastrategie. Strukturreformen sollen die Probleme beheben helfen  ■   Aus Paris Dorothea Hahn

„Wir sind Waisenkinder“, erklärt der neogaullistische Parlamentarier Renaud Muselier. „Wir befinden uns in der Metamorphose“, versucht der neogaullistische Parteisprecher Patrick Devedjian zu besänftigen. „Unsere Krise ist tiefer als jene der Linken nach François Mitterrand“, sagt der Generalsekretär der liberalkonservativen UDF, Pierre-André Wiltzer.

Die französischen Rechten, deren Meinungen in fast allen politischen Fragen – von Europa, über die Rolle des Staates bis zur Sozialpolitik – weit auseinanderklaffen, sind sich zumindest in einer Frage einig: Ihrem politischen Lager geht es miserabel. Seit sie im Mai 1995 mit Jacques Chirac wieder einen der Ihren zum Staatspräsidenten machen konnten, befinden sie sich auf der Talfahrt. Die von Chirac verfügte vorzeitige Parlamentswahl im Jahr 1997 führte zum Verlust der Regierung. Die Kantonal- und Regionalwahlen im vergangenen Jahr schwächten ihrer lokalen Bastionen. Und bei den Europawahlen im vergangenen Juni erlitten sie mit knapp 35 Prozent der abgegebenen Stimmen eine historische Niederlage – während ihre ParteifreundInnen in fast allen anderen europäischen Ländern Siege feiern konnten.

Erschwerend kommt hinzu, daß die jahrzehntealten internen Spaltungen des rechten französischen Lagers tiefer geworden sind. Eine Gruppe von DissidentInnen aus der neogaullistischen RPR (Rassemblement pour la République) um Ex-Innenminister Charles Pasqua schaffte mit einem antiföderalistischen Programm bei den Europawahlen auf Anhieb einen Sitz mehr als die Mutterpartei.

Doch selbst bei den DissidentInnen, deren Parteikürzel RPF listig von jenem der allerersten gaullistischen Bewegung aus dem Jahr 1947 übernommen ist, kommt keine Euphorie auf. Die erwartete „neue Dynamik“ nach dem Wahlerfolg blieb aus. Es gab weder massenhafte Übertritte von RPR-Mitgliedern noch von RPR-Abgeordneten. Rechtzeitig zu der konstituierenden Sitzung des Europaparlaments in dieser Woche zerstritten sich die DissidentInnen noch über ihre Strategie. Eine ihrer Abgeordneten, Marie-France Garaud, weigerte sich, der von Pasqua gegründeten „Union für ein Europa der Nationen“ beizutreten.

Am Sitz der „Mutterpartei“ sorgte die Unbill der DissidentInnen für Aufatmen. „Die Abspaltung ist ein vorübergehendes Phänomen“, versichert der RPR-Europaabgeordnete Roger Karoutchi. Dann erklärt er, daß die gaullistische Familie sich immer dann streitet, wenn es um Europa geht. „Unser Wähler sind sich über Europa nicht einig“, sagt Karoutchi. Tatsächlich tauchten die Trennlinien, die bei den Europawahlen zwischen RPF und RPR verliefen, auch 1992 bei dem Referendum über die Maastrichter Verträge auf. Damals machten von der neogaullistischen Spitze her zwei Chefs – Chirac und Edouard Balladur – Kampagne für ein „Ja“, während zwei andere – Pasqua und Philippe Séguin – zum „Nein“ aufriefen. Wenige Monate später errangen die NeogaullistInnen bei den Parlamentswahlen 1993 ihren stärksten Sieg der letzten Jahrzehnte.

Der Niedergang der französischen Rechten hat am stärksten bei der neogaullistischen RPR eingeschlagen – jener 1976 von Chirac gegründeten Partei, die sich weiter auf das Erbe General de Gaulles beruft. Zwar ist die RPR immer noch die mitgliederstärkste und einflußreichste rechte Kraft. Aber sie muß neben sich, außer den DissidentInnen von der RPF, auch die liberalkonservative UDF (Union pour la Démocratie Française) dulden. Die einst von einem anderen Präsidentschaftsanwärter, Valéry Giscard d'Estaing, ins Leben gerufene Partei bekam bei den Europawahlen zwar nur neun Prozent der Stimmen, war darüber angesicht führerer Niederlagen jedoch hoch erfreut.

UDF-Generalsekretär Wiltzer bezeichnet die rechte Parteienentwicklung als „Phase des Auseinanderbrechens und der Neugründungen“. Er beschreibt „zwei Hauptströmungen“, von denen er die eine als „konservativer, patriotischer, moralisierender und für einen starken Staat eintretend“ und die andere als „zentristisch, modernistisch und europäisch“ bezeichnet. Eine Vereinigung der verschiedenen Flügel der französischen Rechten zu einer großen koservativen Partei wie in Deutschland oder Großbritannien steht in Frankreich weder für Konservativliberale noch für NeogaullistInnen auf der Tagesordnung.

Statt dessen sind sie derzeit mit einer Reformierung ihrer Parteien beschäftigt. Die UDF ging voraus. Im vergangenen Jahr ließ sie erstmals ihre Basis einen Chef (François Bayrou) wählen. Die RPR will folgen. Im Dezember ist ihre Basis aufgerufen, erstmals in der Geschichte der Partei des General einen Chef unter mehreren KandidatInnen auszuwählen.

Nach 19 Jahren unter Führung von Chirac kommt ein derartiger Schritt dem Volljährigwerden gleich. Doch komplett dürfte die Emanzipation von der Vaterfigur im Elysée-Palast vorerst nicht gelingen. Chirac hat sich zwar geweigert, in die Querelen der franzöischen Rechten einzugreifen, und erklärt, er sei der „Präsident aller Franzosen“. Aber wenn er im Jahr 2002 Appetit auf eine zweites Präsidentenmandat haben sollte, wird er sich ohne Zögern wieder an seine politischen FreundInnen auf der Rechten wenden.

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