: Der Schuft gewinnt
Ein heiter überzeichnetes Debüt: Maria Kross inszeniert Goethes „Stella“ im TiK ■ Von Annette Stiekele
Die Liebe stiftet zu allen Zeiten Verwirrung, Ratlosigkeit und Schmerz. Und das auch auf der Bühne. Stella. Ein Schauspiel für Liebende nannte Johann Wolfgang von Goethe sein lustvolles Werk um drei im Liebeswahn Verwirrte aus dem Jahre 1775. Es ist ein grausames Spiel um Gefühle und Illusionen des Lebens. Und um eine recht negative Sichtweise der Liebe, wenngleich eine sakral überhöhte.
Im TiK gab nun Maria Kross, Absolventin des Hamburger Studienganges Schauspielregie, ihr Thalia-Debüt. Und das gibt Anlass zur Heiterkeit. Den Text, dessen Liebesschwüre heute arg überzogen gefühlsduselig daherkommen, hat sie weitgehend unberührt gelassenund sich ganz auf die Figurenpsychologie konzentriert. Die Bühne von Bodo Demelius zeigt als Kontrast zur emotionsgeladenen Sprache den dezent naturalistischen Eingangsbereich eines Wohnhauses.
Die Geschichte: Der junge und leichtfüßige Fernando hat vor Jahren Cäcilie geheiratet, mit ihr und der gemeinsamen Tochter Lucie einige Jahre gelebt und dann doch das Weite gesucht. Er traf die schöne und kluge Stella und verfiel in rasende Liebe zu ihr. Die Wege des Schicksals sind unergründlich, und so kreuzen sich auch die der drei unheilvoll Verbundenen, als Cäcilie mit Lucie im Posthause gegenüber von Stellas Landgut eintrifft und eine Stelle als Gesellschafterin antreten soll. Zur gleichen Zeit nimmt auch der vagabundierende Fernando Kurs auf Stellas Wohnhaus. Alle Beteiligten wissen zunächst nichts voneinander, und Fernando will erst die eine wieder beglücken und dann doch mit der anderen die Flucht ergreifen. Als die Wahrheit ans Licht kommt,ist das Entsetzen groß.
Maria Kross hat die Regie ganz auf die Frauenfiguren und ihr Verhältnis zueinander abgestellt. Zwei Frauen, die verschiedener kaum sein können. Da ist die verantwortlungsvolle und mütterliche Cäcilie (streng und souverän: Sandra Flubacher), die am Anfang verbittert und kratzbürstig mit ihrem Schicksal und gleichzeitig mit ihrer aufmüpfigen heranwachsenden Tochter Lucie (Claudia Renner) hadert. Auf der anderen Seite bildet die muntere und sinnenfroh ihr langes Haar schüttelnde Stella (wunderbar überspannt: Sylvia Schwarz) einen lebensbejahenden Gegenpol. Sie sind zuallererst die Liebenden und die Geliebten und nichts weiter. Mit Stella pflegte Fernando die Liebe jenseits der Konvention. Doch auch nachdem er sie lange verlassen hat, beherrscht er ihre ganze Existenz: „Ach! Der Geliebte ist überall, und alles ist für den Geliebten.“
Cäcilie verkörpert die gereifte, erfahrene Mutter, dem leichtsinnigen Fernando allerdings ebenso verfallen. Am Anfang kratzbürstig und verbittert bis zur Gehässigkeit, entwickelt sie sich in der Stunde der Katastrophe, als Stella die Wahrheit über das Vorleben Fernandos erfährt, zu einer weisen Ehefrau und schwesterlichen Freundin für Stella. Als alle Lebenslügen ihre Masken verlieren, finden die Frauen in intimen Dialogen zueinander und zeigen gleichzeitig übergroßes, schwer nachvollziehbares Verständnis für Fernando: „Wir glauben den Männern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst –warum sollten wir nicht betrogen werden?“ Maria Kross lässt die liebestolle Stella im Negligé über die Bühne hopsen und mit dem für den Geliebten errichteten Altarkitsch laut kreischend um sich werfen. Auch die steife Cäcilie verliert beim Anblick des Gatten jegliche Hemmung, und gezielte Übertreibung ist freilich auch die einzige Möglichkeit, diesen Liebeswahnsinn überhaupt auf die Bühne zu hieven.
Stephan Schad als tölpelhafter Fernando ist allzeit eine Augenweide mit wehleidig verzerrtem Gesicht, hin und wieder dramatisch „Stella!“ oder „Cäcilie, mein Weib!“ ausrufend, während er gleichzeitig die Dekoration demoliert und es ihm nicht einmal gelingt, sich einen Galgen zu bauen. Die Lösung der ausweglosen Dreierkonstellation findet nicht der jammernde Nichtsnutz Fernando, sondern die besonnene Cäcilie, die sich an den Grafen von Gleichen erinnert und eine Liaison zu dritt ins Gespräch bringt. Diesen Schluß hat Goethe später – noch vor der ersten Aufführung in Weimar im Jahre 1806 und wahrscheinlich unter dem Einfluss Schillers – abgewandelt und läßt Stella und Fernando einen tragischen Freitod sterben.
Maria Kross hat sich für die optimistischere erste Variante entschieden, und das war gut so. Stella läßt sich heute nicht mehr als antibürgerlicher Affront gegen den Monogamismus lesen, sondern höchstens als Aufruf zur rationellen Besonnenheit und Loblied auf die Frauen. Wenn Fernando am Ende von der Liebe als allreinigende Kraft von den Ansprüchen des Gestern und Morgen geläutert wird und die Liebe darin fast schon sakrale Züge erlangt, bleibt doch als bitterer Nachgeschmack, dass der Schuft am Ende die Herzen beider Frauen gewinnt, denen er doch so großes Unrecht angetan.
heute, morgen, 1., 2., 15., 16., 24. bis 26. Oktober, 20 Uhr
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