piwik no script img

■ Herz ist Trumpf: Warum die Männer von der SPD so wenig davon zeigen

Ein bisschen blass werden sie schon, manchem schwankt auch mal die Stimme. Nanosekundenlang huschen Betrübnis, Sorge, Enttäuschung und tiefes Unverständnis über die Gesichter der Verlierer. Minus 15, minus 10 Prozent. Minus, minus. Die SPD im freien Fall. „Ich bin kein ängstlicher Typ“, sagt Wolfgang Clement. Der Ministerpräsident in Düsseldorf kräuselt die Stirn und murmelt: „Zwischenphase, wo wir größte Probleme haben“.

Die SPD ist mundtot. Ihr Personal erbricht unverdauliche Hilflosigkeit: „bittere Niederlage, Desaster, Katastrophe“. Ihre politische Libido bewegt sich im grauen Bereich. Warum weint Müntefering, der Katholik, nicht in die Kameras? Angeblich gibt es doch für ihn eine Zone, die einfach menschlich bestimmt ist. Warum sagt er nicht, dass er einfach nichts mehr versteht, wenn seine SPD in Sachsen knapp zweistellig landet?

Herz ist Trumpf. Auch verletzte Herzen sind herzeigbar, das wissen wir von Oskar L. Und hatte nicht kürzlich Müntefering selbst gefordert, die SPD müsse mehr Herz zeigen? Mensch, Franz, Generalsekretär, in der Partei gibt es mindestens zwei Herzspezialisten.

Kandidat 1: Henning Scherf, Bremen. Verkauft als Bürgermeister den Abbau von Sozialleistungen. Scherf ist der Idealtyp. Weiß viel über soziale Gerechtigkeit, leidet, wenn Unrecht geschieht (war seinerzeit in Nicaragua dabei), wirft bei jeder Kürzung des Kleidergeldes für Sozialhilfeempfänger sorgenvoll die Falten ins Gesicht: Mir blutet das Herz, ich kann nicht anders.

Kandidat 2: Hans Koschnick. Hat Bremen nach dem Krieg aufgebaut und führt Mostar nach Europa zurück. Wenn er Arbeit sieht, krempelt er die Ärmel hoch und macht sich ans Werk. So kraftvoll wie er die Trümmer wegräumt, motiviert er Leute zum Mitmachen.

Zugegeben, die Kandidaten sind nicht mehr taufrisch und eher am Ende ihrer politischen Biografie angekommen. Aber sie können weinen, jedenfalls öffentlich. Annette Rogalla

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen